Auch eine – strafbare – Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort ist möglich. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) noch einmal klargestellt.

Zwei Mitfahrer hatten sich mit dem angeklagten Fahrer nach einem Verkehrsunfall – noch im Fahrzeug – auf eine gemeinsame Flucht verständigt. Sie hätten ihn hierdurch in seinem Entschluss bestärkt, sich vom Ort des durch ihn verursachten Verkehrsunfalls zu entfernen. Alle drei Personen verließen zeitnah zueinander das Fahrzeug und liefen davon.

Quelle: BGH, Urteil vom 1.8.2024, 4 StR 409/23

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat eine Klausel für unzulässig erachtet, nach der sich der Preis für die Lieferung und Montage einer Einbauküche (nur) dann um über 20 % reduziert, wenn der Kunde den reduzierten Küchengesamtpreis bis zum Tag der Lieferung und Rechnungsstellung zahlt.

„Skonto“ bei vollständiger Zahlung bis zum Tag der Lieferung und Rechnungsstellung
Ein Ehepaar bestellte bei einem Küchenstudio eine Einbauküche nebst Elektrogeräten für sein Wohnhaus. In der Auftragsbestätigung wies das Küchenstudio einen Gesamtpreis in der Größenordnung von 70.000 Euro sowie einen „Skontobetrag“ von über 15.000 Euro aus für den Fall der vollständigen Zahlung bis zum Tag der Lieferung und Rechnungsstellung.

Bei Lieferung und Montage der Küche erhielten die Kunden eine Rechnung, die auf ihren Hinweis unter anderem bei der Höhe der Mehrwertsteuer korrigiert wurde. Etwa eine Woche nach Erhalt der korrigierten Rechnung überwiesen sie den um das „Skonto“ reduzierten Rechnungsbetrag bis auf einen Restbetrag in Höhe von knapp 3.000 Euro unter Verweis auf eine noch nicht erledigte Aufgabe. Wenige Tage später wiesen sie auch diesen Betrag an, nachdem das Küchenstudio ihnen mitgeteilt hatte, der Skontoabzug setze eine vollständige Zahlung voraus. In der Folge kam es zu Mängelrügen der Kunden und Nachbesserungsarbeiten des Küchenstudios. Etwa drei Monate nach der ersten Rechnung stellte das Studio den Kunden einen weiteren Betrag über etwa 1.000 Euro in Rechnung für Arbeiten, die bei Montage der Küche erledigt worden waren.

Landgericht: Klausel des Küchenstudios unwirksam
Diesen Betrag sowie den von den Kunden in Abzug gebrachten „Skontobetrag“ klagte das Küchenstudio ein. Das Landgericht (LG) wies die Klage des Küchenstudios mit der Begründung ab, die verwendete Klausel sei unwirksam und ein mündlicher Zusatzauftrag nicht erwiesen.

Oberlandesgericht bestätigte Landgericht
Das OLG bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Die Zahlungsbedingung „fällig bis zum Tage der Lieferung und Rechnungsstellung“ sei aus mehreren voneinander unabhängigen Gründen unzulässig. So bestehe für den Kunden keine Möglichkeit, die Zahlung aufgrund von Mängeln (teilweise) zurückzuhalten, möchte er sich nicht der Forderung des höheren Preises aussetzen. Bei Zahlung am selben Tag sei auch keine angemessene Zeit zur Prüfung, ob die Leistung vertragsgerecht erbracht und die Rechnung ordnungsgemäß gestellt worden sei, gegeben. Ferner sei dem Kunden eine Bar- oder Sofortzahlung über mehrere Zehntausend Euro nicht zumutbar. Schließlich sei der „Skontobetrag“ aufgrund seines Umfangs und im Verhältnis zum Gesamtküchenpreis als unzulässige Vertragsstrafe zu werten. Denn branchenüblich sei ein Skonto von lediglich 1 % bis 3 %.

Kunde schuldet nur Sonderpreis
In Anbetracht der Unwirksamkeit der Klausel schulde der Kunde lediglich den als „Sonderpreis“ vereinbarten Betrag („Gesamtpreis“ abzüglich „Skontobetrag“). Auf einen entsprechenden Hinweis des Senats nahm das Küchenstudio seine Berufung zurück.

Quelle: OLG Zweibrücken, Hinweisbeschluss vom 25.6.2024, 5 U 38/23

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Verwaltungsgericht (VG) Freiburg hat entschieden: Es ist nicht zu beanstanden, wenn eine Kommune in ihrer Abfallsatzung bestimmt, dass nach vergeblicher Zahlungsaufforderung gegenüber einem Mieter dessen Vermieter zur Zahlung der Abfallgebühren in Anspruch genommen wird.

Mieter und Vermieter können in Anspruch genommen werden
Das VG Freiburg stellte fest: Nach der Abfallwirtschaftssatzung schuldet der Kommune neben dem Mieter auch der Vermieter die Abfallgebühren. Beide haften danach als Gesamtschuldner. Bis die Gebühr vollständig erbracht sei, könne mithin jeder in Anspruch genommen werden.

Vermieter kann Mieter in Anspruch nehmen
Oft ist es ohnehin so, dass der Vermieter die Kosten unmittelbar trägt und sie nach dem Mietvertrag als Betriebskosten auf den Mieter umlegen kann. Der Vermieter hat dann, bei einer Satzungsregelung wie im Fall des VG, gegen den Mieter einen sog. Gesamtschuldnerausgleichanspruch. Allerdings trägt er auch das Liquiditätsrisiko seines Mieters.

Quelle: VG Freiburg, Urteil vom 11.7.2024, 4 K 1957/23

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Die Architekteneigenschaft setzt voraus, dass der Planer in die bei der zuständigen Architektenkammer geführten Architektenliste eingetragen ist. Ist dies nicht der Fall, weil der Planer zwar Architektur studiert, aber keinen akademischen Abschluss erworben hat, muss er hierüber den Auftraggeber bei Vertragsabschluss informieren. Insoweit besteht eine Offenbarungspflicht, so das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf.

Verstößt der Planer gegen diese Offenbarungspflicht, kann der Auftraggeber nach dieser Entscheidung die von ihm geleisteten Honorarabschläge zurückfordern.

Hierbei besteht die Vermutung, dass der Auftraggeber den Planer bei Aufklärung über seine fehlende Architekteneigenschaft nicht beauftragt hätte und somit die Honorarabschläge nicht bezahlt worden wären. Die Beauftragung wäre einerseits wegen der großen Bedeutung des Bauwerks, andererseits wegen der mangelnden Fähigkeit des Planers, den Bauantrag überhaupt zu stellen, unvernünftig gewesen. Hierüber entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung.

Quelle: OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.2.2023, 22 U 58/22

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Verwaltungsgericht (VG) Münster hat die Klage einer Friseurin abgewiesen, das Land Nordrhein-Westfalen zu verpflichten, ihr eine Förderung nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (sogenanntes Meister-BAföG) für einen Vorbereitungslehrgang für die Prüfung zur Friseurmeisterin zu gewähren.

Das war geschehen
Die ausgebildete Friseurin nahm im Jahr 2021 an dem Vorbereitungslehrgang eines privaten Anbieters teil, für den ihr Kosten von 12.949 Euro entstanden. Einen Antrag auf Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung in dieser Höhe lehnte der Beklagte 2022 im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Maßnahme könne nicht gefördert werden, weil die hierfür erforderlichen 400 Unterrichtsstunden als physische und virtuelle Präsenzlehrveranstaltungen nicht vorgesehen gewesen seien. Hiergegen klagte die Friseurin und führte zur Begründung u. a. aus, Maßnahmen des Coronaschutzes hätten seinerzeit dazu geführt, dass die Fortbildungsstätte Lehrveranstaltungen gefilmt und den Teilnehmern anschließend als Video zur Verfügung gestellt habe.

Videos sind nicht Präsenz
Die Klage wies das VG ab. Denn die Maßnahme erfülle die gesetzlichen Vorgaben für eine Förderung nicht. Soweit Unterrichtsinhalte von der Fortbildungsstätte gefilmt und die Videos den Teilnehmern anschließend zum Anschauen zur Verfügung gestellt worden seien, stelle der Unterricht keine – auch keine virtuelle – Präsenzlehrveranstaltung im Sinne des Gesetzes dar, sodass die Mindestanzahl von 400 Stunden förderfähigen Unterrichts nicht erreicht werde. Lehrende und Lernende seien nicht gleichzeitig anwesend, es finde keine synchrone kommunikative Wissensvermittlung statt.

Daran ändere es auch nichts, dass die Fortbildungsstätte eine umfassende telefonische Erreichbarkeit der Dozierenden eingerichtet habe. Diese mache das Anschauen eines Lehrvideos nicht zu einer dem Präsenzunterricht gleichwertigen Lernerfahrung. Die von der Klägerin besuchte Weiterbildung sei auch nicht als „mediengestützter Lehrgang“ förderungsfähig. Für die erforderliche Mindeststundenzahl der Maßnahme zählten nur die Stunden für die Bearbeitung von Online-Lerninhalten, auf die die Lehrperson aktiv Einfluss habe und bei denen sie zugleich den Lernfortschritt überwachen könne.

Quelle: VG Münster, Urteil vom 29.10.2024, 6 K 2868/22

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich erneut mit der Frage befasst, in welchem Umfang Kinder im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit zu Unterhaltsleistungen für ihre Eltern herangezogen werden können.

Das war geschehen
Der Antragsteller ist Sozialhilfeträger. Er nimmt den Antragsgegner aus übergegangenem Recht für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2020 auf Elternunterhalt für dessen pflegebedürftige Mutter in Anspruch. Die 1940 geborene Mutter lebt in einer vollstationären Pflegeeinrichtung und kann die Kosten ihrer Heimunterbringung mit ihrer Sozialversicherungsrente und den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht vollständig decken. Der Antragsteller erbrachte für sie im genannten Zeitraum Sozialhilfeleistungen in monatlicher Höhe von rund 1.500 Euro. Der Antragsgegner ist verheiratet und bewohnte mit seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau und zwei volljährigen Kindern ein den Ehegatten gehörendes Einfamilienhaus. Das Jahresbruttoeinkommen des Antragsgegners belief sich im Jahr 2020 auf gut 133.000 Euro.

So sahen es die Vorinstanzen
Das Amtsgericht (AG) hat den auf Zahlung von 7.126 Euro gerichteten Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde des Antragstellers ist vor dem Oberlandesgericht (OLG) ohne Erfolg geblieben. Das OLG hat das Bruttoeinkommen des Antragsgegners um Steuern und Sozialabgaben, Unterhaltspflichten für eines der volljährigen Kinder, berufsbedingte Aufwendungen, Versicherungen sowie Altersvorsorgeaufwendungen bereinigt und die unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des Antragsgegners mit Monatsbeträgen zwischen 5.451 Euro und 6.205 Euro ermittelt. Auf dieser Grundlage hat es den Antragsgegner für nicht leistungsfähig gehalten. Denn der Mindestselbstbehalt beim Elternunterhalt müsse sich nun mit Blick an dem Nettobetrag orientieren, der sich überschlägig aus einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 Euro nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben errechnen lasse, sodass ein Mindestselbsthalt von 5.000 Euro für Alleinstehende und ein Familienmindestselbstbehalt von 9.000 Euro für Verheiratete als angemessen anzusehen sei.

So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die angefochtene Entscheidung auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen. Die vom OLG für angemessen erachtete Ausrichtung des Mindestselbstbehalts an der Einkommensgrenze des durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz vom 10.12.2019 eingeführten § 94 Abs. 1a des Sozialgesetzbuchs XII (SGB XII) beruht auf einem unterhaltsrechtlich systemfremden Bemessungsansatz, der rechtsfehlerhaft ist und in dieser Form auch nicht mit gesetzlichen Wertungen gerechtfertigt werden kann.

Angehörigen-Entlastungsgesetz: Grenze von 100.000 Euro
Nach § 94 Abs. 1a S. 1 und 2 SGB XII ist der Anspruchsübergang auf Sozialhilfeträger gegenüber solchen Kindern ausgeschlossen, deren steuerrechtliches Jahresbruttoeinkommen 100.000 Euro nicht überschreitet. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, die bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflichten der Kinder gegenüber ihren hilfebedürftig gewordenen Eltern zu ändern. Der Umfang der sozialhilferechtlichen Rückgriffsmöglichkeiten kann grundsätzlich nicht für den Umfang der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht maßgeblich sein. Denn der Regress (und der Verzicht darauf) knüpfen gerade an das Bestehen eines bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs an. Dem Angehörigen-Entlastungsgesetz kann deshalb keine gesetzgeberische Wertung entnommen werden, die gebieten würde, den unterhaltspflichtigen Kindern Freibeträge zu gewähren, mit denen der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch der Eltern gegenüber Kindern mit einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 Euro schon im Vorfeld des Regressverzichts regelmäßig an der mangelnden unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit scheitern müsste.

Überschreitung der Einkommensgrenze: gesamtes Einkommen „zählt“
Überschreitet das unterhaltspflichtige Kind die Jahreseinkommensgrenze des § 94 Abs. 1a S. 1 SGB XII, gehen nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut die gesamten Unterhaltsansprüche des Elternteils nach § 94 Abs. 1 SGB XII auf den Sozialhilfeträger über (und nicht nur der Teil, der sich auf das über 100.000 Euro liegende Einkommen bezieht). Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, hätte er dies anordnen können, wovon er aber abgesehen hat. Der vom OLG für angemessen angesehene Mindestselbstbehalt von 5.000 Euro für Alleinlebende bzw. von 9.000 Euro für Verheiratete würde schon allein wegen der großzügigen unterhaltsrechtlichen Maßstäbe bei der Vorwegbereinigung des Nettoeinkommens um Altersvorsorgeaufwendungen des unterhaltspflichtigen Kindes faktisch zu einer ganz erheblichen und so ersichtlich nicht intendierten Erhöhung der den Unterhaltsrückgriff ausschließenden Jahreseinkommensgrenze von 100.000 Euro führen.

Gewisse Härte bei nur knapper Grenzüberschreitung
Jeder Einkommensgrenze ist immanent, dass die Normadressaten, die sie (knapp) verfehlen, dadurch von einer gewissen Härte betroffen sind. Eine darüberhinausgehende Härte beim Unterhaltsrückgriff auf besonders gutverdienende Kinder hat der BGH auch in den sog. Geschwisterfällen verneint.

Für das weitere Verfahren hat der BGH zum einen klargestellt, dass die in den Leitlinien einiger OLG über das Jahr 2020 hinaus fortgeschriebenen Mindestselbsthalte – zuletzt 2.650 Euro für das Jahr 2024 – derzeit keinen rechtlichen Bedenken begegnen. An der vom Gesetzgeber durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz geschaffenen Rechtslage muss auch das Unterhaltsrecht nicht vollständig vorbeigehen, sodass es künftig nicht zu beanstanden sein dürfte, wenn dem unterhaltspflichtigen Kind nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes ein über die Hälfte hinausgehender Anteil – etwa 70 % – des seinen Mindestselbstbehalt übersteigenden bereinigten Einkommens zusätzlich belassen wird.

Quelle: BGH, Beschluss vom 23.10.2024, XII ZB 6/24

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Die Fahrerlaubnis-Verordnung bietet keine rechtliche Grundlage für eine behördliche Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen (u. a. Fahrräder, Mofas, E-Scooter). Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster entschieden. Damit sind zwei Antragsteller aus Duisburg und Schwerte vorläufig wieder berechtigt, mit solchen Fahrzeugen am Straßenverkehr teilzunehmen.

Unter Amphetaminen auf dem E-Scooter bzw. betrunken auf dem Rad
Ein Antragsteller fuhr unter dem Einfluss von Amphetamin einen E Scooter. Der andere Antragsteller wies bei einer Fahrt mit dem Fahrrad eine Blutalkoholkonzentration von über 2 ‰ auf. Beide besitzen keine Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (z. B. Pkw). In beiden Fällen untersagten die Fahrerlaubnisbehörden ihnen das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen. Die hiergegen gerichteten Eilanträge lehnten die Verwaltungsgerichte (VG) Düsseldorf und Gelsenkirchen ab. Die Beschwerden der Antragsteller hatten beim OVG Erfolg.

Einschlägige Normen nicht verhältnismäßig
Zur Begründung hat das OVG ausgeführt: Die streitigen Anordnungen können nicht auf die Vorschrift der Fahrerlaubnis-Verordnung gestützt werden, wonach die Fahrerlaubnisbehörde jemandem das Führen von Fahrzeugen zu untersagen hat, der sich als hierfür ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet erweist. Denn diese Norm ist nicht hinreichend bestimmt und verhältnismäßig.

Ein solches Verbot schränkt die grundrechtlich geschützte Fortbewegungsmöglichkeit der Betroffenen deutlich ein. Außerdem sind fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge im Vergleich zu Kraftfahrzeugen in der Regel weniger gefährlich. Die Vorschrift berücksichtigt diese Aspekte nicht und regelt insbesondere nicht hinreichend klar, in welchen Fällen jemand ungeeignet oder bedingt geeignet zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ist und wann Eignungszweifel bestehen.

Die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts sind unanfechtbar.

Quelle: OVG Münster, Beschluss vom 5.12.2024, 16 B 175/23

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden hat eine Klage abgewiesen, mit der der Kläger die Ausstellung eines Personalausweises ohne Speicherung der Fingerabdrücke auf dessen elektronischem Speichermedium (sog. „Chip“) begehrte.

Pflicht aufgrund europäischer Verordnung
Die Pflicht zur Speicherung von Fingerabdrücken bei Ausweisen beruht auf der europäischen Verordnung (hier: (EU) 2019/1157 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019) zur Erhöhung der Sicherheit der Personalausweise von Unionsbürgern und der Aufenthaltsdokumente, die Unionsbürgern und deren Familienangehörigen ausgestellt werden, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben. Der Kläger trug vor, dass hierdurch seine Grundrechte auf Schutz des Privatlebens nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 7 GRCh) und auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) verletzt würden.

So sah es der Europäische Gerichtshof
Das VG hatte das Verfahren zunächst ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem Vorabentscheidungsverfahren die Frage vorgelegt, ob die Pflicht zur Aufnahme von Fingerabdrücken in Personalausweisen mit höherrangigem Unionsrecht vereinbar ist. Der EuGH hatte entschieden, dass die Verordnung wegen der Durchführung eines ungeeigneten Gesetzgebungsverfahrens ungültig sei. Die Wirkungen der Verordnung würden jedoch aufrechterhalten bleiben, bis innerhalb einer angemessenen Frist, die zwei Jahre ab dem 1.1.2025 nicht überschreiten dürfe, eine neue, im korrekten Gesetzgebungsverfahrens erlassene Verordnung in Kraft trete, die sie ersetzt. In materieller Hinsicht verstoße die Einschränkung der in Art. 7 und Art. 8 GRCh garantierten Rechte nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sodass die Verordnung nicht aus diesem Grund ungültig sei.

So entschied das Verwaltungsgericht
Die Ablehnung der Ausstellung eines Personalausweises ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken sei rechtmäßig, so das VG, und verletze den Kläger deshalb auch nicht in seinen Rechten. Das VG sei an das Urteil des EuGH gebunden, insbesondere bezüglich der Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit. Auch im Hinblick auf die im konkreten Verfahren vorliegende Frage der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Ausstellung eines Personalausweises ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken durch die Landeshauptstadt Wiesbaden sei keine andere Beurteilung geboten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei auch im konkreten Fall gewahrt. In der Ablehnung der Ausstellung eines Personalausweises ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken durch die Beklagte liege kein Verstoß gegen Grundrechte.

Auch habe das VG für die Entscheidung über den vorliegenden Fall nicht den Fristablauf der Fortgeltung der o. g. Verordnung oder den Erlass einer neuen Verordnung abwarten müssen. Angesichts der Entscheidung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren sei die Sache entscheidungsreif. Der EuGH habe ausdrücklich entschieden, dass die Wirkungen der Verordnung aufrechterhalten blieben, weshalb im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein Anspruch des Klägers auf Ausstellung eines Personalausweises ohne Speicherung von Fingerabdrücken bestehe. Die Frage, ob sich ein solcher Anspruch möglicherweise in der Zukunft infolge einer Änderung der Rechtslage ergeben könnte, sei im vorliegenden Verfahren nicht von Relevanz.

Quelle: VG Wiesbaden, Urteil vom 18.12.2024, 6 K 1563/21.WI

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Landgericht (LG) Berlin II hat eine Wohnungsbaugesellschaft zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 11.000 Euro wegen einer Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verurteilt. Die Vermieterin habe den Mieter wegen seiner Behinderung diskriminiert.

Mieter war auf Rollstuhl angewiesen
Der Mieter sitzt im Rollstuhl. Um sein Wohnhaus eigenständig verlassen oder betreten zu können, verlangten er und sein Ehemann von der Vermieterin die Zustimmung zum Bau einer Rampe. Die Vermieterin verweigerte diese, sodass die Frage in einem – anderen – gerichtlichen Verfahren geklärt werden musste. Laut der dortigen Entscheidung des LG musste die Vermieterin die Zustimmung zum Bau einer Rampe erteilen. Im weiteren Verfahren sprach das LG dem Mieter nun eine Entschädigung zu, weil die Vermieterin ihn aufgrund seiner Behinderung diskriminiert habe. Grundlage ist das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot nach § 19 AGG. Danach ist eine Benachteiligung, z.B. wegen einer Behinderung, auch in zivilrechtlichen Massengeschäften unzulässig. Vermietung von Wohnraum fällt darunter, sofern Vermieter insgesamt mehr als 50 Wohnungen vermieten, was vorliegend der Fall ist.

Unmittelbare Benachteiligung des Mieters
Da die Vermieterin die Zustimmung zum Bau der Rampe über zwei Jahre bis zur Entscheidung des LG verwehrte, habe sie den Mieter durch Unterlassen unmittelbar benachteiligt. Sie sei nach § 5 AGG verpflichtet gewesen, die Benachteiligung des Klägers durch positive Maßnahmen zu beseitigen, z.B. die Erteilung der Zustimmung zum Bau einer Rampe. Dieser Handlungspflicht sei die Vermieterin nicht nachgekommen. Im Vergleich zu anderen Mietern ohne (körperliche) Behinderung sei ihm der Zugang zur Wohnung rechtswidrig versagt worden.

Die Höhe der Entschädigung begründet das Gericht mit den gravierenden Folgen der Benachteiligung für den Kläger und dem Verhalten der Vermieterin. Aus Sicht des Gerichts handelte diese nicht problemorientiert, sondern verweigerte zwei Jahre lang hartnäckig die Zustimmung zum Bau der Rampe aus pauschalen Gründen, die nicht ansatzweise zu überzeugen vermochten. Ohne Hilfe Dritter war es dem Kläger nicht möglich, die vorhandenen sechs Treppenstufen zu überwinden und er konnte das Haus nicht spontan verlassen oder betreten. Er war dadurch in seiner Bewegungs- und Handlungsfreiheit stark eingeschränkt.

Quelle: LG Berlin II, Urteil vom 30.9.2024, 66 S 24/24, PM 32/24

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Ein Arbeitsunfall kann vorliegen, wenn eine Beschäftigte nach einem privaten Wochenendausflug auf dem Weg zu ihrer Wohnung verunglückt, weil sie dort Arbeitsschlüssel und -unterlagen vor Arbeitsantritt abholen wollte. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) heute entschieden.

Vom Wochenendausflug zur Wohnung gefahren und verunglückt
Die Klägerin fuhr am Unfalltag früh morgens nach einem privaten Wochenendausflug von dort zurück zu ihrer Wohnung, in der sich Schlüssel und Unterlagen für ihren anschließenden Arbeitseinsatz bei der Eröffnung eines Gemeindezentrums befanden. Wenige Kilometer vor ihrem Wohnort verunglückte die Klägerin mit ihrem Pkw und wurde schwer verletzt.

Arbeitsunfall oder nicht?
Die beklagte Berufsgenossenschaft und die Vorinstanzen lehnten die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Die Revision der Klägerin war erfolgreich. Die Klägerin kann sich auf einem versicherten Betriebsweg befunden haben, wenn sie den Weg zur Aufnahme von Arbeitsschlüsseln und -unterlagen in ihrer Wohnung in Umsetzung einer Weisung ihres Arbeitsgebers zurückgelegt hat. Falls keine solche Weisung feststellbar ist, kann die Klägerin auf einem versicherten Weg verunfallt sein, wenn sie mit den Arbeitsschlüsseln und -unterlagen in ihrer Wohnung verwahrtes Arbeitsgerät holen wollte, das für die Aufnahme oder Verrichtung ihrer Arbeit unentbehrlich war.

Die hierfür erforderlichen Feststellungen wird das Landessozialgericht (LSG) jetzt noch nachholen müssen.

Quelle: BSG, Urteil vom 26.9.2024, B 2 U 15/22 R, PM 27/24

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl