Ein Straßenbahnführer darf darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO) beachten und Schienen nicht besetzen. Er muss nicht damit rechnen, dass ein vor ihm fahrendes Fahrzeug in den Gleisbereich einbiegt und dort zum Halten kommt.

Das gilt nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm grundsätzlich auch für den Fall, dass der andere Fahrer seine Abbiegeabsicht bereits angezeigt hat. Darum tritt bei der Abwägung der Betriebsgefahr der Straßenbahn gegen das erhebliche Verschulden des Pkw-Führers bei einem Verstoß gegen die StVO die Betriebsgefahr der Straßenbahn zurück. Der Pkw-Fahrer haftet daher vollständig für den entstandenen Schaden.

Quelle: OLG Hamm, Urteil vom 13.4.2018, 7 U 36/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Das Bremsen für eine Taube unmittelbar nach dem Anfahren an einer Ampel erfolgt nicht ohne zwingenden Grund und stellt keinen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung dar.

So entschied es das Amtsgericht Dortmund in einer Unfallsache. Zwei Fahrzeuge hatten vor einer Ampel gewartet. Als diese auf grün umschlug, fuhr der erste Wagen los. Nach wenigen Metern bremste der Fahrer jedoch wieder ab, weil eine Taube auf der Fahrbahn saß. Der nachfolgende Wagen fuhr auf. Der Auffahrende verlangte von dem anderen Fahrer seinen Schaden ersetzt.

Mit dieser Forderung hatte er vor dem Amtsgericht keinen Erfolg. Das Gericht verwies auf den Beweis des ersten Anscheins, nach dem der Auffahrende den Unfall schuldhaft verursacht habe. So spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Kraftfahrer der auf ein vor ihm fahrendes oder stehendes Fahrzeug auffährt, entweder zu schnell, mit unzureichendem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren ist. Es müsse ein solcher Abstand eingehalten werden, dass angehalten werden kann, wenn der Vordermann plötzlich bremst.

Dieser Beweis des ersten Anscheins kann jedoch erschüttert bzw. ausgeräumt werden, wenn der Auffahrende einen anderen ernsthaften, typischen Geschehnisablauf darlegt und beweist. Das konnte der Auffahrende hier aber nicht. Der Anscheinsbeweis ist nicht dadurch erschüttert, dass der andere Fahrer für eine Taube stark gebremst hat. Das Bremsen für eine Taube war nicht ohne zwingenden Grund. Es war in dieser konkreten Situation kein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Eine Abwägung der gefährdeten Rechtsgüter ergibt, dass hier gebremst werden durfte. Die damit einhergehende Gefahr von Sachschäden an dem eigenen wie an dem fremden Kraftfahrzeug hat keinen Vorrang vor dem Tierwohl. Vielmehr ist hier zu beachten, dass der Unfall bei sehr geringer Geschwindigkeiten im Anfahrvorgang geschah. Aufgrund der geringen Geschwindigkeit waren auch keine Personenschäden zu erwarten. Allein weil es sich bei einer Taube um ein Kleintier handelt, kann nicht verlangt werden, dass das Tier hätte überfahren werden müssen. Das Töten eines Wirbeltiers ist nach dem Tierschutzgesetz grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit. Das war dem Autofahrer nicht zuzumuten. Diese Vorschrift ist auch Folge des im Jahr 2002 in Art. 20a GG aufgenommen Tierschutzes als Staatszielbestimmung der Bundesrepublik Deutschland.

Quelle: Amtsgericht Dortmund, Urteil vom 10.7.2018, 425 C 2383/18

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Reißt die eigentlich wiederverwendbare Heckscheibe beim unfallreparaturbedingten Ausbau, verwirklicht sich ein typisches Werkstattrisiko. Darauf hat der Geschädigte keinen Einfluss. Der eintrittspflichtige Versicherer muss daher die Kosten für die neue Scheibe erstatten.

So entschied es das Amtsgericht Stuttgart. In dem Fall meinte der Versicherer, die Werkstatt habe die Scheibe durch unsachgemäße Arbeit kaputt gemacht. Das gehe ihn nichts an. Das Gericht ließ sich zunächst sachverständig beraten. Der Gutachter erläuterte, dass es ein normales Risiko sei, dass die Scheibe reiße. Das Gericht hat den Versicherer zur Zahlung verurteilt, jedoch Zug um Zug gegen Abtretung eventueller Schadenersatzansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt. Wenn der Versicherer also immer noch meine, die Werkstatt habe den Bruch der Scheibe verursacht, solle er das im Regresswege klären.

Quelle: Amtsgericht Stuttgart, Urteil vom 6.7.2018, 45 C 3863/17, Abruf-Nr. 202761 unter www.iww.de.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Es liegt kein Lieferverkehr vor, wenn ein Gewerbetreibender mit seinem Fahrzeug in eine Fußgängerzone fährt, um bei einer dort gelegenen Postfiliale seine Geschäftspost zu holen.

Hierauf wies das Oberlandesgericht (OLG) Köln hin. Zur Begründung bezogen sich die Richter auf den allgemeinen Sprachgebrauch zum Begriff des „Lieferverkehrs“. Der versteht darunter in erster Linie den Transport von Waren und Gegenständen von und zu Kunden. Die Entscheidung liegt damit auf der Linie einer neueren Entscheidung des OLG Bamberg. Das hat das Bringen und Abholen von Personen durch einen Taxifahrer ebenfalls nicht als Lieferverkehr angesehen.

Quelle: OLG Köln, Beschluss vom 2.5.2018, 1 RBs 113/18

Quelle: OLG Bamberg, Beschluss vom 9.7.2018, 3 OLG 130 Ss 58/18

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Ist ein Fahrzeug weiterhin zugelassen und fahrbereit und wurde es nur deshalb auf einem Privatgrundstück abgestellt, weil sein Eigentümer es nicht mehr nutzen will, muss eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden.

Das folgt nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus der Ersten Richtlinie über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (RL 72/166/EWG). In dem Fall konnte eine Frau aus gesundheitlichen Gründen ihr Fahrzeug nicht mehr nutzen. Sie hatte es daher im Hof ihres Hauses abgestellt. Offiziell stillgelegt hatte sie es jedoch nicht.

Ohne ihre Erlaubnis und ihr Wissen benutzte ihr Sohn das Fahrzeug. Dabei kam es zu einem Unfall, bei dem der Sohn und zwei weitere Fahrzeuginsassen verstarben. Zu dem Zeitpunkt bestand keine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung für das Fahrzeug. Der Fundo de Garantia Automóvel (Automobil-Garantiefonds, Portugal) leistete den Rechtsnachfolgern der Insassen Ersatz für die durch den Unfall entstandenen Schäden. Anschließend nahm er im Einklang mit der insoweit im portugiesischen Recht vorgesehenen Möglichkeit die Fahrzeugeigentümerin auf Regress in Anspruch.

Der EuGH entschied nun, dass die Frau zu Recht in Anspruch genommen werde. Ein Fahrzeug, das nicht ordnungsgemäß stillgelegt wurde und fahrbereit ist, fällt unter den Begriff „Fahrzeug“ im Sinne der Ersten Richtlinie. Nur weil seine Eigentümerin es nicht mehr nutzen will und es auf einem Privatgrundstück abgestellt hat, fällt es nicht aus der in der Richtlinie aufgestellten Versicherungspflicht. Die Frau hätte das Fahrzeug hier also versichern müssen.

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass die Zweite Richtlinie einer gesetzlichen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass die Entschädigungsstelle (hier der Fundo de Garantia Automóvel) ein Rückgriffsrecht nicht nur gegen den oder die für den Unfall Verantwortlichen hat, sondern auch gegen die Person, die eine Haftpflichtversicherung für das Unfall-Fahrzeug hätte abschließen müssen, dies aber unterlassen hat. Dies gilt auch, wenn sie zivilrechtlich nicht für den Unfall verantwortlich ist.

Quelle: EuGH, Urteil vom 4.9.2018, C 80/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Wurde dem Betroffenen die Fahrerlaubnis der Klasse B entzogen, wird dies geheilt, wenn ihm nachträglich im Heimatland ein EU-Führerschein der Klasse C ausgestellt wird.

Diese Klarstellung traf das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Fall eines lettischen Staatsangehörigen. Der Mann ist seit 1997 im Besitz einer Fahrerlaubnis für die Klasse B. Wegen einer Trunkenheitsfahrt bei einem Besuchsaufenthalt in Deutschland verurteilte ihn ein deutsches Strafgericht im Jahr 2002 zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis und ordnete eine Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis von zehn Monaten an. Im Jahr 2012 erhielt der Mann in Lettland einen neuen, bis zum Jahr 2022 gültigen Führerschein. Dieser wies für die Klasse C ein Erteilungsdatum 2012 aus, für die Klasse B war das Jahr 1997 vermerkt. Später zog der Mann nach Deutschland. Dort beantragte er 2013 die Ausstellung eines deutschen Führerscheins im Wege des Umtauschs. Die zuständige Fahrerlaubnisbehörde gab ihm auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu der Frage vorzulegen, ob zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Nachdem der Mann dies abgelehnt hatte, lehnte die Behörde seinen Antrag ab. Sie stellte fest, dass er nicht berechtigt sei, mit seinem lettischen Führerschein in Deutschland fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge zu führen. Zudem gab sie dem Mann auf, seinen Führerschein vorzulegen, damit ein entsprechender Sperrvermerk eingetragen werden könne.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte im Berufungsverfahren Erfolg. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts müssen die deutschen Behörden den nach Ablauf der Sperrfrist in Lettland ausgestellten EU-Führerschein anerkennen. Für den Führerschein der Klasse C habe der Mann auch seine Fahreignung nachweisen müssen. Die hiergegen gerichtete Revision des beklagten Landkreises hat das BVerwG zurückgewiesen. Ein Führerschein der Klasse C kann nur Fahrzeugführern ausgestellt werden, die zum Führen von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sind. Aufgrund dieses Stufenverhältnisses enthält die ordnungsgemäße Ausstellung eines Führerscheins der Klasse C zwingend auch die Bestätigung der Fahreignung für die Klasse B. Durch die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse C in Lettland sind die in Deutschland durch den Verkehrsverstoß begründeten Fahreignungszweifel überholt. Deutsche Behörden müssen den nach Ablauf der Sperrfrist ausgestellten EU-Führerschein anerkennen. Die in Deutschland bestehende Befristung der Geltungsdauer einer Fahrerlaubnis der Klasse C auf fünf Jahre kann nach weiteren Vorgaben des Unionsrechts im Rahmen einer Erneuerung berücksichtigt werden. Von dieser Möglichkeit einer Erneuerung hat der deutsche Verordnungsgeber bislang aber nicht Gebrauch gemacht. Darum ist die im Führerschein des ursprünglichen Wohnsitzmitgliedstaats angegebene Geltungsdauer maßgeblich und von den deutschen Behörden anzuerkennen.

Quelle: BVerwG, Urteil vom 6.9.2018, 3 C 31/16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Auch wenn der Versicherer im telefonischen Erstkontakt bestätigt hat, den Unfallschaden zu übernehmen, darf der Geschädigte anwaltliche Unterstützung für die Schadenregulierung in Anspruch nehmen. Der Versicherer muss die Anwaltskosten erstatten.

Diese Klarstellung traf das Amtsgericht Aachen. Es führte dazu aus: Angesichts der immer komplexer werdenden Rechtsprechung zu den verschiedensten Schadenpositionen (z. B. nur: Mietwagenkosten, Sachverständigenkosten, Stundenverrechnungssätze von Werkstätten) ist die Abwicklung eines Verkehrsunfallschadens für jeden, der nicht gerade über ausgeprägte Spezialkenntnisse auf dem Gebiet des Verkehrsunfallrechts verfügt, ein schwierig gelagerter Schadensfall. Dass der Mitarbeiter der Versicherung dem Geschädigten unstreitig telefonisch Deckung und Haftung für den Unfall bestätigt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Damit hat der Versicherer nur seine Haftung dem Grunde nach bestätigt. Es war damit nicht geklärt, in welcher Höhe der Geschädigte den Versicherer berechtigt würde in Anspruch nehmen können. Um dies zu klären, war es aus Sicht eines vernünftigen Unfallgeschädigten dringend geboten, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.

Quelle: Amtsgericht Aachen, Urteil vom 20.7.2018, 113 C 31/18

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Ist das verunfallte Fahrzeug ein allradgetriebener PickUp mit Doppelkabine und Anhängerkupplung, kann der eintrittspflichtige Versicherer hinsichtlich der Mietwagenkosten nicht auf die Preise für Standardfahrzeuge der Mietwagengruppe, in die das Fahrzeug einzuordnen ist, verweisen.

Dies Klarstellung traf das Amtsgericht Weilburg. Weist der Geschädigte, der dieses spezielle Fahrzeug braucht, nach, dass nur ein Vermieter im zumutbaren Umkreis so eines im Angebot hat, sind dessen Preise dem Schadenersatzanspruch zugrunde zu legen.

Hinweis Das Urteil ist ohne Weiteres auf andere beschädigte Fahrzeuge zu übertragen, bei denen die Gruppengleichheit nicht ausreicht, z. B. Fahrschulwagen oder speziell behindertengerecht ausgestattete Fahrzeuge.

Quelle: Amtsgericht Weilburg, Urteil vom 2.5.2018, 5 C 339/17


Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Wer einen Mietwagen grob fahrlässig beschädigt, muss für den entstandenen Schaden haften.

Das folgt aus einer Entscheidung des Landgerichts (LG) Hildesheim. Dort hatte ein 78-Jähriger einen VW Golf angemietet. Mit dem Autovermieter hatte er eine Haftungsbeschränkung auf 500 EUR im Schadensfall vereinbart. Nach dem Vertrag sollte diese allerdings bei einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Schadens keine uneingeschränkte Anwendung finden. Etwa eine Stunde nach Übernahme des Fahrzeugs und Fahrtantritt fuhr der Mann von der Autobahn ab, um einem drängenden menschlichen Bedürfnis nachzukommen. Hierbei unterließ er es – auch weil ihm das Fahrzeug nicht vertraut war – das Auto durch Anziehen der Handbremse und Einlegen des ersten Ganges doppelt abzusichern. Der Pkw rollte gegen einen Torpfeiler und wurde hierbei beschädigt. Mit seiner Klage macht der Autovermieter nunmehr die gesamten Reparaturkosten in Höhe von ca. 1.800 EUR geltend. In erster Instanz hatte er mit seiner Klage Erfolg. Hiergegen wendet sich der Autofahrer mit seiner Berufung.

Das LG hat das Urteil der Vorinstanz in vollem Umfang bestätigt. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass angesichts der unterlassenen doppelten Sicherung des abgestellten Fahrzeugs mittels Handbremse und Einlegen des ersten Ganges bei Gefälle von einem objektiv schwerwiegenden Pflichtverstoß auszugehen sei. Der mehrfache und erhebliche Sorgfaltsverstoß zeige sich auch in den weiteren Umständen: Der Mann habe es vor Fahrtantritt unterlassen, sich mit der Funktionsweise des Fahrzeugs vertraut zu machen. Er habe die Beschaffenheit des Abstellorts nicht überprüft. Schließlich habe er auch nicht kontrolliert, ob er die Handbremse fest angezogen habe. Auch subjektiv sei das einzig zur Entlastung angeführte drängende menschliche Bedürfnis nicht geeignet, den Sorgfaltsmaßstab zugunsten des Mannes zu verschieben.

Quelle: LG Hildesheim, Urteil vom 13.6.2018, 1 S 17/18

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

In der unfalltypischen Not- und Eilsituation ist der Geschädigte nicht verpflichtet, Marktforschung nach einem möglichst günstigen Abschleppunternehmer zu betreiben.

So entschied es das AG Deggendorf. Allerdings bedeutet das nicht, dass der Abschleppunternehmer Phantasiepreise verlangen kann. Denn wenn kein Preis vereinbart ist, kommt es im Verhältnis zum Kunden auf das lokal Übliche an. Verlangt der Abschleppunternehmer mehr, kann sich der Versicherer den Rückforderungsanspruch des Geschädigten gegen den Abschleppunternehmer abtreten lassen und statt des Geschädigten die Überhöhung zurückfordern.

Quelle: AG Deggendorf, Urteil vom 27.6.2018, 3 C 259/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl