Manchmal kommt es darauf an, welcher Unfallhergang der wahrscheinlichste ist. In einem solchen Fall musste nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. entscheiden.

Unfallhergang streitig

Auf der Autobahn stockte der Verkehr, weil die Dreispurigkeit in eine Zweispurigkeit überging. Ein Fahrzeugführer wollte von links in die mittlere Spur wechseln, brach den bereits eingeleiteten Spurwechselvorgang aber ab, weil das Fahrzeug vor ihm auf der mittleren Spur voll abgebremst wurde. Er wechselte nach links zurück. Wie weit er bereits mittig war, ist streitig. Das ihm folgende Fahrzeug fuhr auf und schob ihn auf das Vorderfahrzeug auf. Das war der wahrscheinlichste Unfallhergang.

Kläger war der Eigentümer des vordersten Fahrzeugs. Beklagter war das Büro Grüne Karte e. V. als Quasiversicherer hinter dem Auffahrenden. Von dort wurde vorgetragen, sowohl das Vorderfahrzeug als auch das davor seien von der Mitte nach links gewechselt, ohne zuvor links gefahren zu sein. Am Ende war der Unfallhergang nicht aufklärbar. War der verhinderte Spurwechsler bereits seit Längerem auf der linken Spur, hätte der Auffahrende seinen Abstand daran ausrichten müssen – wenn nicht, dann nicht.

Anwendung des Anscheinsbeweises

Das OLG wandte den Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden an. Dieser ist eine juristische Methode, bei der aus einem typischen Geschehensablauf auf eine bestimmte Ursache oder ein bestimmtes Verhalten geschlossen wird, weil dies nach allgemeiner Lebenserfahrung sehr wahrscheinlich ist. Er erleichtert die Beweisführung, da die beweisende Partei nicht den gesamten konkreten Einzelfall beweise, sondern nur den typischen Sachverhalt darlegen muss.

Hier handele es sich möglicherweise nicht um das typische Geschehen eines Spurwechsels des Vorausfahrenden. Und weil das nicht klar sei, gelte, so das OLG: Stehe nicht fest, ob über das – für sich gesehen typische – Kerngeschehen hinaus Umstände vorliegen, die, sollten sie gegeben sein, der Annahme der Typizität des Geschehens entgegenstünden, stehe der Anwendung des Anscheinsbeweises nichts entgegen. Denn in diesem Fall bleibe dem Gericht als Grundlage allein das typische Kerngeschehen, das ohne besondere Umstände als Basis für den Anscheinsbeweis ausreicht.

Anscheinsbeweis hier nicht widerlegt

Sei also ein Sachverhalt unstreitig, zugestanden oder positiv festgestellt, der die für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderliche Typizität aufweist, muss derjenige, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis angewendet werden soll, darlegen und ggf. beweisen, dass weitere Umstände vorliegen, die dem feststehenden Sachverhalt die Typizität wieder nehmen. Er muss den Anscheinsbeweis erschüttern. Das sei im vorliegenden Fall nicht gelungen.

Quelle: OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 15.7.2025, 30 U 28/25

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Eine Frau parkte in der Tiefgarage ihres Arbeitgebers. Beim Ausparken stieß sie mit der Beifahrertür ihres BMW versehentlich gegen einen rechteckigen, ca. kniehohen Sockel einer Säule. Der Sockel befand sich unterhalb der Sichtachse und war nicht gekennzeichnet oder markiert. Sie verlangte Schadenersatz. Ihre Klage wies das Amtsgericht (AG) München ab.

Das verlangte die Klägerin

Die Klägerin behauptet, durch den Unfall sei ein Schaden an der Beifahrertür von über 3.200 Euro netto entstanden. Der Sockel sei bei Umbaumaßnahmen im Zeitraum 2019 bis 2022 errichtet worden. Die Klägerin habe erfahren, dass es mehrere Unfälle an dem Betonsockel gegeben habe. Sie verklagte daraufhin das Bauunternehmen, das die Verkehrssicherungspflicht für die von ihm durchgeführten Arbeiten übernommen hatte.

Die beklagte Baufirma gab an, der Sockel stünde dort bereits seit 50 Jahren. Sie bezweifelte, dass der Schaden vollständig auf einen Kontakt mit dem Sockel zurückzuführen sei.

So urteilte das Amtsgericht

Das AG wies die Klage ab. Begründung: Das Bauunternehmen habe bereits keine sog. Verkehrssicherungspflicht verletzt. Der Betonsockel stellte schon keine besondere Gefahrenquelle für Fahrzeuge in einer Parkgarage dar. Dabei sei zu berücksichtigen, dass jeder Kraftfahrer in einer Parkgarage ohnehin nur so schnell fahren darf, dass er im Hinblick auf die ständig zu erwartenden Ein- und Ausparkvorgänge, aber auch wegen des dort herrschenden Fußgängerverkehrs jederzeit anhalten kann. Beim Ein- und Ausparkvorgang sei es daher jederzeit möglich, anzuhalten, auszusteigen und sich zu vergewissern, wie breit die Fahrbahn oder der Parkplatz an dieser Stelle ist.

Dies gelte insbesondere hinsichtlich des streitgegenständlichen Betonsockels, der von allen Seiten gut sichtbar sei, da er breiter sei als die dahinterstehende Säule. Ein kniehoher Betonsockel sei auch kein überraschendes Hindernis für Parkgaragennutzer, da enge Parkbuchten in einer älteren Parkgarage durchaus üblich seien.

Altschäden auf Fahrfehler zurückzuführen

Selbst, wenn man unterstelle, dass mehrere Fahrer mit ihren Fahrzeugen den Betonsockel in der Vergangenheit gestreift haben sollen, was angesichts eines vorgelegten Fotos und den darauf sichtbaren Lackspuren durchaus plausibel erscheine, sei eine Gefahr, dass Rechtsgüter Dritter durch den statischen Betonsockel verletzte werden, für das Bauunternehmen nicht erkennbar gewesen. Dieses habe als sog. Verkehrssicherungspflichtige darauf vertrauen dürfen, dass die Parkgaragennutzer den gut sichtbaren Betonsockel erkennen und, sofern ihr Fahrzeug zu breit für den Parkplatz sei, eine andere noch freie Parkbucht ohne einen Betonsockel nutzen. Beschädigungen des Sockels durfte das Bauunternehmen daher auf Fahrfehler zurückführen.

Mitverschulden der Autofahrerin

Selbst, wenn man eine Verkehrssicherungspflicht annehmen würde, träfe die Frau ein Mitverschulden, das eine Haftung des Bauunternehmens vollständig entfallen ließe. Die Klägerin nutzte die Parkgarage ihres Arbeitgebers bereits fast zwei Monate nach den Umbaumaßnahmen. Ihr waren sowohl der Zustand der Parkgarage als auch ihre baulichen Merkmale aufgrund der längeren Nutzung bekannt oder sie hätten ihr bekannt sein müssen.

Quelle: AG München, Urteil vom 9.8.2024, 231 C 13838/24

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Kommt es zur Kollision zwischen einem Linienbus, der bei Rot mit leicht erhöhter Geschwindigkeit in einen Kreuzungsbereich einfährt, und einem PKW, der eine Linksabbiegespur zu einem Wendemanöver nach einem Gelblichtverstoß nutzt, ist eine Haftungsverteilung von 4/5 zulasten des Busfahrers und 1/5 zulasten des PKW angemessen. So entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main.

Es ging um Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall

Die Parteien streiten um Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall. Bei dem Unfall wurde die Mutter des Klägers tödlich verletzt.

Der Kläger fuhr mit dem PKW seines Vaters in südliche Fahrtrichtung in die vom Beklagten in nördliche Richtung genutzte Straße. Der Kläger ordnete sich im Kreuzungsbereich auf der Linksabbiegerspur hinter vier weiteren Fahrzeugen ein. Nach dem Umschalten des Linksabbiegerpfeils auf „Grün“ fuhr der Kläger als fünftes und letztes Fahrzeug in die Abzweigung ein. Der aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung kommende Beklagte steuerte einen Linienbus und kollidierte bei seiner Geradeausfahrt mit dem Fahrzeug des Klägers. Er behauptet, seine Ampel habe „Grün“ gezeigt.

Mithaftung des Pkw-Fahrers

Das Landgericht (LG) hatte der Schadenersatzklage bei Annahme einer alleinigen Haftung des Beklagten ganz überwiegend stattgegeben. Auf die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten entschied das OLG, dass den Kläger eine Mithaftung in Höhe von 1/5 treffe.

Kein unabwendbares Ereignis

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass für keinen der Beteiligten der Unfall ein unabwendbares Ereignis gewesen sei, führte das OLG aus. Zulasten des Beklagten wirke, dass die Ampel für den Bus unmittelbar vor der Kollision bereits seit mindestens 22 Sekunden „Rot“ gezeigt habe. Dass eine Fehlschaltung in Form eines sog. „feindlichen Grüns“ vorgelegen habe, sei auszuschließen. Die Ampelanlage sei auf ihre Funktionsfähigkeit hin geprüft worden. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Busfahrer mit 58 km/h und damit mit leicht überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei.

Zulasten des Klägers wirke, dass dieser sich ungewöhnlich lange im Kreuzungsbereich aufgehalten habe. Er habe unter Nutzung der Linksabbiegespur ein Wendemanöver beabsichtigt. Dadurch habe er sich infolge der geringeren Geschwindigkeit länger (9 Sekunden) als üblich (4-4,5 Sekunden) im Kreuzungsbereich aufgehalten. Er habe die Kollision mit dem für ihn sichtbaren Bus bei rechtzeitiger Bremsung vermeiden können. Zudem sei von einem Gelblichtverstoß des Klägers auszugehen.

So verteilt das Oberlandesgericht die Haftung

Die Abwägung der Verursachungsbeiträge aufseiten des Beklagten (Rotlichtverstoß, überhöhte Geschwindigkeit und erhöhte Betriebsgefahr des Busses) und des Klägers (Gelblichtverstoß, längeres Aufhalten im Kreuzungsbereich infolge Wendemanövers) führe zu einer Haftungsverteilung von 4/5 zulasten des Beklagten und 1/5 zulasten des Klägers.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 23.9.2025, 10 U 213/22

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen gegen seine Verurteilung wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 1.000 Euro nebst Fahrverbot von zwei Monaten verworfen. Aus Anlass des Verfahrens hat es grundsätzliche Ausführungen zur Rüge eines „lückenhaften“ Messprotokolls gemacht.

Geldbuße und Fahrverbot

Gegen den Betroffenen war wegen Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h eine Geldbuße in Höhe von 520 Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet worden. Bei erlaubten 50 km/h war der Betroffene nach Abzug der Toleranz 90 km/h gefahren. Auf seinen Einspruch hin hatte das Amtsgericht (AG) den mehrfach vorbelasteten Betroffenen zu einer Geldbuße von 1.000 Euro und einem Fahrverbot von zwei Monaten verurteilt.

Rechtsbeschwerde ohne Erfolg

Die gegen dieses Urteil gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte vor dem zuständigen OLG keinen Erfolg. Das Urteil lasse keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen. Das gelte insbesondere für die Würdigung des Verhaltens als vorsätzlicher Verstoß und daran anknüpfend die verschärfte Ahndung mit einer Geldbuße von 1.000 Euro.

Der vom Betroffenen gerügte Umgang mit „lückenhaften“ Messprotokollen erschöpfe sich in einer bloßen Behauptung und begründe ebenfalls keinen Rechtsfehler. Es fehle ein konkreter Bezug zum Fall. Auffälligkeiten und/oder Besonderheiten in der sog. Falldatei, die in einem Kontext zum Messprotokoll gesehen werden könnten, würden nicht dargestellt. Das in Bezug genommene Fallbild weise ebenfalls keinerlei Auffälligkeiten auf. „Es zeigt lediglich einen einsamen Fahrer, der mit entspanntem Gesicht und gemessenen 90 km/h kurz nach Mitternacht durch die Innenstadt von Kassel rast“, konkretisierte das OLG.

Oberlandesgericht: Grundsätze zu „lückenhaften“ Messprotokollen

Das OLG nahm die Entscheidung zum Anlass, grundsätzliche den Umgang mit „lückenhaften“ Messprotokollen zu erläutern. Messprotokolle könnten als amtliche Urkunden in Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren verlesen werden und damit die Einvernahme von Zeugen ersetzen. Sofern Messprotokolle nicht den verbindlichen Vorgaben entsprächen, müsse der Messbeamte als Zeuge vernommen werden.

Entscheidend sei nicht die formale Dokumentation, sondern die materielle Richtigkeit der Handlung, betonte das OLG. Erinnere sich der Messbeamte an die häufig schon Monate zurückliegende Messung nicht mehr, liege keine standardisierte Messung mehr vor. Das Gericht müsse dann eine volle Beweiswürdigung u.a. unter Bewertung der vom Messgerät erzeugen Falldatei vornehmen. Dabei sei es eine Grundanforderung an die Verteidigung, aus der Falldatei heraus dem Gericht vor der Hauptverhandlung konkrete Auffälligkeiten zu zeigen. Nur dann sei das Gericht verpflichtet, diesen konkret dargelegten Auffälligkeiten nachzugehen.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.5.2025, 2 Orbs 69/25

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Frauen muslimischen Glaubens haben keinen Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung für das Führen eines Kfz mit einem Gesichtsschleier (Niqab). Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat eine entsprechende Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin bestätigt.

Antrag auf Ausnahmegenehmigung

Die Klägerin hatte ihren Antrag auf Ausnahmegenehmigung damit begründet, dass sie sich gemäß ihrem Glauben außerhalb ihrer Wohnung nur vollverschleiert zeigen dürfe. Da sie im Auto den Blicken fremder Menschen ausgesetzt sei, müsse es ihr erlaubt wer-den, beim Führen eines Kraftfahrzeugs ihren gesamten Körper einschließlich des Gesichts unter Aussparung der Augenpartie zu verschleiern. Das VG hatte die Klage abgewiesen.

Berufung nicht zugelassen

Das OVG hat den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung abgelehnt. Mit ihren Einwendungen hat die Klägerin es nicht vermocht, ernstliche Richtigkeitszweifel an der Entscheidung des VG zu wecken oder Verfahrensfehler offenzulegen.

Keine wesentliche Einschränkung der Religionsfreiheit

Die Annahme des VG, dass das Tragen einer Gesichtsverschleierung während des Autofahrens für die Religionsausübung typischerweise keine wesentliche Einschränkung bedeutet und angesichts der zeitlich und örtlich eingeschränkten Wirkung des Verbots hinzunehmen ist, konnte sie nicht durchgreifend in Frage stellen.

Dasselbe gilt für die Annahme des VG, dass das der zuständigen Behörde bei der Frage der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zustehende Ermessen rechtmäßig ausgeübt wurde, weil der Eingriff zur Sicherstellung der effektiven automatisierten Verkehrsüberwachung gerechtfertigt ist.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Quelle: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.4.2025, OVG 1 N 17/25

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Ist bei US-Importfahrzeugen das Erstzulassungsdatum unbekannt, darf die Zulassungsstelle den 1. Juli des Baujahrs als Datum der Erstzulassung in die Fahrzeugpapiere eintragen. Dies hat das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen entschieden.

Herstellungsmonat blieb in den Fahrzeugpapieren unerwähnt

Die Klägerin, ein Autohaus aus Essen, hat sich auf den Import gebrauchter Sportwagen aus US-Produktion spezialisiert. Sie klagte, weil die Zulassungsstelle in die Fahrzeugpapiere nicht das von dem Sachverständigen in seinem Gutachten zur Zulassung des Fahrzeugs angenommene Datum der Erstzulassung eingetragen hat, sondern den 1. Juli des Baujahrs. Dieses war das Vorjahr des gutachterlich angenommenen Zulassungsjahrs. Lediglich unter „Bemerkungen“ in den Zulassungsbescheinigungen ist der Herstellungsmonat des Fahrzeugs erwähnt, der zeitlich nach dem 1. Juli im Baujahr liegt.

Zulassungsstelle durfte von Einschätzung des Sachverständigen abweichen

Das VG wies die Klage ab. Die Zulassungsstelle durfte von der Einschätzung des Sachverständigen abweichen und auf die vom Kraftfahrtbundesamt in Abstimmung mit den Bundesländern herausgegebene Verwaltungsvorschrift „Leitfaden zur Ausfüllung der Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II“ abstellen. Der Leitfaden soll eine bundesweit gleichmäßige Zulassungspraxis sicherstellen. Danach trägt die Zulassungsstelle den 1. Juli des Baujahrs ein, wenn dieses bekannt ist, aber der Zeitpunkt der Erstzulassung nicht. Das Sachverständigengutachten für die Fahrzeugzulassung stellt die technische Beschreibung des Fahrzeugs fest. Das Erstzulassungsdatum ist kein Teil der technischen Beschreibung.

Zulassungsstelle hat sich an Leitfaden gehalten

Die Zulassungsstelle hat den Leitfaden bei Eintragung des fiktiven Zulassungsdatums rechtmäßig angewendet. Ist das Erstzulassungsdatum eines Importfahrzeugs unbekannt, ist das fiktive Datum nach den Vorgaben im Leitfaden einzutragen. Das Herstellungsdatum bietet keinen verlässlichen Anhaltspunkt für das Erstzulassungsdatum. Weltweit kommt es vor, dass Fahrzeuge zwischen Herstellung und Zulassung erhebliche Zeiträume im Lager des Herstellers oder des Händlers stehen.

Bei Annahme eines fiktiven Datums liegt es in der Natur der Sache, dass dieses Datum nur zufällig den tatsächlichen Tag der Zulassung treffen kann. In solchen Fällen grundsätzlich die Mitte des Baujahres als fiktives Erstzulassungsdatum zu Grunde zu legen, ist nicht zu beanstanden. Dies gewährleistet eine Gleichbehandlung in allen gleichgelagerten Sachverhalten. Zur Sicherung der verlässlich bundesweit einheitlichen Zulassungspraxis ist der Umstand hinzunehmen, dass das fiktive Datum unter Umständen in Einzelfällen aufgrund anderer Indizien als unwahrscheinlich oder sogar mit Sicherheit unzutreffend anzusehen ist.

Interessen des Autohauses treten zurück

Die zu erkennenden wirtschaftlichen Interessen der Klägerin an einem möglichst „späten“ Erstzulassungsdatum müssen hinter das mit der Verwaltungsvorschrift verfolgte Interesse der Allgemeinheit an einer rechtssicheren, gleichmäßigen und praktikablen Verwaltungspraxis zurücktreten. Die Klägerin kann Kunden, sofern ihnen der Umstand nicht ohnehin bekannt ist, auf den fiktiven Charakter des eingetragenen Erstzulassungsdatums hinweisen und dies erläutern. Hierzu kann sie auf die eingetragenen Bemerkungen der Zulassungsstelle zurückgreifen.

Nachweise über Erstzulassung doch noch nachgereicht

In zwei von drei Fällen, die Gegenstand der Klage waren, hat die Zulassungsstelle die Fahrzeugpapiere im Nachhinein problemlos geändert, als die Klägerin Nachweise über das tatsächliche Datum der Erstzulassung in den USA vorlegen konnte.

Quelle: VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20.6.2025, 14 K 120/24

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Verwaltungsgericht (VG) Gießen hat die Stadt Marburg dazu verpflichtet, einer Studentin einen Bewohnerparkausweis zu erteilen, die ein in Tschechien zugelassenes Fahrzeug nutzt.

Kfz in Tschechien zugelassen

Die Klägerin wohnt in einem Bewohnerparkgebiet der Beklagten. Sie nutzt ein Kraftfahrzeug ihres Vaters, der tschechischer Staatsangehöriger ist und das Fahrzeug in Tschechien zugelassen hat. Im Frühjahr 2024 beantragte sie bei der Stadt Marburg, ihr einen Bewohnerparkausweises zu erteilen. Dies lehnte die Stadt mit der Begründung ab, dass sie Bewohnerparkausweise für Fahrzeuge mit ausländischer Zulassung nicht erteilen könne. Im Rahmen des Klageverfahrens argumentierte die Stadt weiter, dass eine ausländische Zulassung gegen eine dauerhafte Nutzung des Fahrzeugs durch die Klägerin spreche, weil ein im Ausland zugelassenes Kraftfahrzeug nur vorübergehend am Verkehr in Deutschland teilnehmen dürfe.

So entschied das Verwaltungsgericht

Das VG bejahte hingegen den Anspruch der Studentin auf einen Bewohnerparkausweis. Bei der Klägerin handele es sich um eine Anwohnerin, die das betroffene Fahrzeug nachweislich dauerhaft nutze.

Gegen eine dauerhafte Nutzung spreche insbesondere nicht, dass Kraftfahrzeuge mit ausländischer Zulassung nur vorübergehend am Straßenverkehr in Deutschland teilnehmen dürfen. Es sei bereits nicht klar, ob das von der Klägerin genutzte Fahrzeug diese Voraussetzungen erfülle. Die Klägerin gab nämlich an, dass sie das Fahrzeug während der Semesterferien nicht in Deutschland nutze. Diese Prüfung obliege der Zulassungsbehörde, die je nach Einzelfall eine Untersagung des Betriebs im öffentlichen Straßenverkehr ohne deutsche Zulassung aussprechen könne.

Die Versagung eines Bewohnerparkausweises für im Ausland zugelassene Fahrzeuge entspreche nicht dem Zweck der Vorschriften. Ein Bewohnerparkgebiet diene dem Anwohnerinteresse, in innerstädtischen Wohnstraßen eine Abstellmöglichkeit für ein (dauerhaft) genutztes Kraftfahrzeug zu finden.

Quelle: VG Gießen, Urteil vom 13.11.2024, 6 K 2830/24.GI

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Unabhängig von der Frage, ob überhaupt eine zu hohe Rechnung des Schadengutachters vorliegt, ist es jedenfalls für Laien nicht erkennbar, dass 734 Euro überhöht seien sollen, wenn der Versicherer selbst 614,01 Euro für richtig hält. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster.

Streit um die Höhe der Gutachtenkosten

Es ging um einen Verkehrsunfall, bei dem die Alleinhaftung des Beklagten für das streitgegenständliche Unfallereignis als Kfz-Haftpflichtversicherung zwischen den Parteien nicht in Streit stand. Streitig war allein die Höhe des Schadenersatzanspruchs.

Der Geschädigte soll nicht „zwischen den Stühlen sitzen“

Da Zahlung des Restbetrags an den Schadengutachter Zug um Zug gegen Abtretung des Vorteilsausgleichsanspruch beantragt wurde, hat das AG das sog. Sachverständigenrisiko problemlos angewendet: Es dürfe dem Beklagten zuzumuten sein – falls an der Einschätzung festgehalten wird, dass die vom Sachverständigenbüro abgerechneten Positionen teilweise gar nicht oder zumindest nicht in dieser Höhe hätten abgerechnet werden dürfen – aus abgetretenem Recht insoweit auf Rückerstattung dieser Positionen gegen das Sachverständigenbüro vorzugehen, so das AG. Der Geschädigte soll nicht „zwischen den Stühlen sitzen“.

Genau das ist der Weg, den der BGH bereits in einer älteren Entscheidung vorgesehen hat.

Quelle: AG Münster, Urteil vom 6.5.2025, 96 C 429/25

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Saarlouis hat entschieden: Die Fahrerlaubnisbehörde darf im Einzelfall auf Grundlage der Fahrerlaubnis-Verordnung (hier: § 3 FeV) die Untersagung aussprechen, mit erlaubnisfreien Fahrzeugen – dazu zählen etwa Fahrräder und E-Scooter – am Straßenverkehr teilzunehmen.

Kläger mehrfach alkoholisiert im Straßenverkehr aufgegriffen

Der Kläger ist in der Vergangenheit mehrfach alkoholisiert im Straßenverkehr aufgefallen. Er ist nicht (mehr) im Besitz einer Fahrerlaubnis. Im Juli 2019 führte er ein erlaubnisfreies Fahrzeug (Mofa) bei einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,83 Promille, über das er wegen seiner Alkoholisierung die Kontrolle verlor. Daraufhin forderte die Fahrerlaubnisbehörde ihn auf, seine Fahreignung medizinisch-psychologisch begutachten zu lassen („MPU“). Dem kam der Kläger nicht nach. Infolgedessen untersagte die Behörde ihm das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr.

Fahrerlaubnisverordnung zu unbestimmt?

Dagegen hat der Kläger unter Verweis auf die Rechtsprechung anderer Obergerichte u. a. geltend gemacht, die Rechtsgrundlage, auf die sich die Untersagung stütze (§ 3 FeV), sei unwirksam. Sie sei zu unbestimmt bzw. unverhältnismäßig. Es sei – anders als für Kraftfahrzeuge – nicht klar geregelt, wann einer Person die Eignung fehle, mit einem Fahrrad am Straßenverkehr teilzunehmen. Insbesondere sei es unzulässig, das Führen eines Fahrrads ähnlich strengen Vorgaben zu unterwerfen wie das Führen eines Kraftfahrzeugs.

Oberverwaltungsgericht: Nein!

Das OVG hat demgegenüber ausgeführt, dass sich § 3 FeV jedenfalls für das streitgegenständliche, im Anschluss an eine Trunkenheitsfahrt mit einem erlaubnisfreien Fahrzeug bei einer BAK von 1,83 Promille ausgesprochene Verbot, solche Fahrzeuge zu führen, als hinreichend bestimmte und verhältnismäßige Regelung darstelle. Da der Kläger es unterlassen habe, sich begutachten zu lassen, habe die Fahrerlaubnisbehörde darauf schließen dürfen, dass ihm die Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr mit erlaubnisfreien Fahrzeugen fehle (§ 11 Abs. 8 FeV).

Potenzielle Gefährdung anderer hoch

Die Untersagungsverfügung stelle zwar einen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Individualmobilität dar. Zudem sei angesichts der geringeren Masse und Höchstgeschwindigkeit erlaubnisfreier Fahrzeuge nicht von der Hand zu weisen, dass solche Fahrzeuge eine geringere Gefahrenquelle darstellten als erlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge. Die Gefahr, die von ungeeigneten Führern erlaubnisfreier Fahrzeuge ausgehe, sei aber erheblich genug, um die dem Kläger gegenüber ergangene Anordnung, sich medizinisch-psychologisch begutachten zu lassen, zu rechtfertigen. Denn andere Verkehrsteilnehmer könnten sich und Dritte erheblich gefährden, wenn sie wegen der unvorhersehbaren Fahrweise eines unter erheblichem Alkoholeinfluss fahrenden Mofa- oder Radfahrers zu riskanten und folgenschweren Ausweichmanövern verleitet würden.

Quelle: OVG Saarlouis, Urteil vom 23.5.2025, 1 A 176/23

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) für das Land Baden-Württemberg hat über drei Verfassungsbeschwerden gegen Verurteilungen in Verkehrs-Ordnungswidrigkeitenverfahren entschieden. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires Verfahren. Ihnen war die Einsicht in bei der Bußgeldbehörde vorhandene Daten der Geschwindigkeitsmessung und Unterlagen des Messgeräts, die nicht Teil der Bußgeldakte waren, versagt worden. Der VerfGH hat die Entscheidungen aufgehoben und die Sache jeweils zur erneuten Entscheidung an die Ausgangsgerichte zurückverwiesen.

Das war geschehen

Den Beschwerdeführern wird vorgeworfen, als Kraftfahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten zu haben. Ihnen wurden deshalb zunächst mit Bußgeldbescheid und anschließend Urteil des Amtsgerichts (AG) Geldbußen zwischen 80 und 320 Euro zum Teil mit einmonatigem Fahrverbot auferlegt. Ihre dagegen beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Während des Bußgeldverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens begehrten die Beschwerdeführer wiederholt die Übermittlung von bei der Bußgeldbehörde vorhandenen, aber nicht bei der Bußgeldakte befindlichen Messdaten bzw. Wartungs- und Reparaturunterlagen des Messgeräts. Eine Einsicht wurde ihnen nicht bzw. nur unvollständig gewährt.

Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs

Die Verfassungsbeschwerden sind, soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens aufgrund der unterbliebenen Einsichtsgewährung in die begehrten Messdaten bzw. Wartungs- und Reparaturunterlagen rügen, zulässig und begründet. Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits festgestellt hat, folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen.

Recht auf faires Verfahren

Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen. Der Beschuldigte eines Strafverfahrens bzw. Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens hat neben der Möglichkeit, prozessual im Wege von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen auf den Gang der Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, grundsätzlich auch das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Dadurch werden seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert, weil er selbst nach Entlastungsmomenten suchen kann, die zwar fernliegen mögen, aber nicht schlechthin auszuschließen sind.

Die möglicherweise außerhalb der Verfahrensakte gefundenen entlastenden Informationen können von der Verteidigung zur fundierten Begründung eines Antrags auf Beiziehung vor Gericht dargelegt werden. Der Betroffene kann so das Gericht, das von sich aus diese Informationen nicht beizieht, auf dem Weg des Beweisantrags oder Beweisermittlungsantrags zur Heranziehung veranlassen.

Diesen Grundsätzen wurden die aufgehobenen Entscheidungen nicht gerecht.

Quelle: VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 27.1.2025, 1 VB 173/21, 1 VB 36/22, 1 VB 11/23, PM vom 29.1.2025

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl