Auf Fahrgassen eines Parkplatzes, die vorrangig der Parkplatzsuche dienen und nicht dem fließenden Verkehr, gilt nicht die Vorfahrtsregel „rechts vor links“! Die Fahrer sind vielmehr verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem anderen Fahrer zu suchen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat eine hälftige Haftungsquote für die Unfallfolgen auf einem Parkplatz eines Baumarkts ausgesprochen.

Das war geschehen
Der Kläger begehrt restlichen Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall auf dem Parkplatz eines Baumarkts in Wiesbaden. Der Betreiber hatte die Geltung der StVO angeordnet. Auf die zur Ausfahrt des Parkplatzgeländes führende Fahrgasse münden von rechts mehrere Fahrgassen ein. Der Beklagte befuhr eine dieser von rechts auf die Ausfahrtfahrgasse einmündenden Fahrgassen, an deren beiden Seiten sich im rechten Winkel angeordnete Parkboxen befanden. Auch die zur Ausfahrt führende Fahrgasse verfügt im linken Bereich über Parkboxen. Im Einmündungsbereich der Fahrgassen kam es zum Zusammenstoß mit dem klägerischen Fahrzeug.

Berufungsverhandlung ging nicht wunschgemäß aus
Das Landgericht (LG) hat der Klage auf Basis einer Haftung des Beklagten in Höhe von 25 Prozent stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers führte zu einer Änderung der Haftungsquote auf 50 Prozent. Maßgeblich für die Höhe der Schadenersatzverpflichtung des Beklagten sei, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei, betonte das OLG. Die Verursachungsbeiträge der Fahrer der unfallbeteiligten Fahrzeuge seien hier als gleichgewichtig anzusehen und der Schaden zu teilen.

Gegenseitige Rücksichtnahme erwartet
Der Beklagte könne nicht geltend machen, dass sein Vorfahrtsrecht verletzt wurde. Zwar seien die Regeln der Straßenverkehrsordnung auf öffentlich zugänglichen Privatparkplätzen wie hier grundsätzlich anwendbar. Fahrgassen auf Parkplätzen seien jedoch keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen und gewährten deshalb keine Vorfahrt. „Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes…, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme…, d.h. jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jeweils anderen Fahrzeugführer zu suchen“, unterstreicht das OLG.

Fahrgassen ohne Straßencharakter: kein fließender Verkehr
Etwas anderes gelte nur, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter hätten und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergebe, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienten, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für einen solchen Straßencharakter könnten etwa die Breite der Fahrgassen sprechen oder auch bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben. Derartige straßentypische bauliche Merkmale fehlten hier. Die Fahrgassen dienten ersichtlich nicht dem fließenden Verkehr, da an ihnen jeweils Parkboxen angeordnet waren. Da es am Straßencharakter für die vom Klägerfahrzeug befahrene Fahrgasse fehle, habe der Beklagte auch nicht die hohen Sorgfaltsanforderungen beim Einfahren auf eine Fahrbahn gemäß der Straßenverkehrsordnung (§ 10 StVO) erfüllen müssen.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 22.6.2022

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Verkehrsrecht

Die Mietvertragsparteien können wirksam formularvertraglich vereinbaren, dass ein beiderseitiges Anpassungsrecht der Betriebskostenhöhe durch zugangsbedürftige Erklärung bei Kostenänderungen aufgrund von geänderten Bezugspreisen besteht. Insoweit kommt es aber darauf an, ob sich der Vermieter auch bei entsprechenden Kostensteigerungen eine Erhöhung der Vorauszahlung mietvertraglich zusätzlich vorbehalten hat. So sieht es das Amtsgericht (AG) Hamburg.

Der Vermieter einer Wohnung verlangte vom Mieter bei einer Betriebskostennachforderung von 11,52 Euro eine Erhöhung der monatlichen Vorauszahlungen um 45,40 Euro. Er begründete die Erhöhung mit nicht näher spezifizierten erwarteten Kostensteigerungen. Das wollte der Mieter nicht mitmachen. Auch dem AG Hamburg genügt das nicht. Die entsprechende Erklärung genüge nicht den Anforderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 560 Abs. 4 BGB), da dieses ausdrücklich auf das Ergebnis einer Betriebskostenabrechnung abstelle.

Quelle: AG Hamburg, Urteil vom 27.6.22, 49 C 13/22

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Mietrecht

Die Monatsfrist des § 613a Abs. 6 S. 1 BGB zum Widerspruch gegen den Übergang eines Arbeitsverhältnisses infolge Betriebsübergangs beginnt nicht nur bei fehlerhafter Information des Arbeitnehmers nicht zu laufen, sondern auch nicht bei unvollständiger Information. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf.

Geht es um die rechtlich schwierig zu beurteilende (Weiter-) Geltung eines Tarifvertrags beim Erwerber und ist dieser Umstand für die Ausübung des Widerspruchsrechts ersichtlich von Bedeutung, müssen der Betriebsveräußerer und/oder der Betriebserwerber sich hierzu ausdrücklich und in einer für Nichtjuristen verständlichen Weise erklären. Danach konnte das Unterrichtungsschreiben des Arbeitgebers die o. g. Widerspruchsfrist nicht in Gang setzen, weil die dort enthaltenen Informationen teilweise – wenn auch nicht notwendig falsch – so doch zumindest unklar und unvollständig waren. Ihm ließ sich vor allem nicht entnehmen, ob ein bestimmter Tarifvertrag im Fall des Übergangs des Arbeitsverhältnisses gelten sollte oder nicht.

Dieser Umstand ist so bedeutend, dass er als relevantes Kriterium für einen möglichen Widerspruch des Klägers gegen einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses in Betracht kam.

Quelle: LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.7.2022, 8 Sa 68/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Arbeitsrecht

Die Mindestsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI 2013) können in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiter als verbindliches Preisrecht anzuwenden sein. Folge: Aufstockungsklagen können Erfolg haben. So entschied es der Bundesgerichtshof (BGH).

Der BGH: Deutschland hat mit dem verbindlichen Preisrecht der HOAI 2013 zwar gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Trotzdem kann sich ein Planer grundsätzlich auf eine bestehende nationale Rechtsvorschrift (hier: HOAI 2013) berufen, solange diese weiterhin im Land gültig und im Verhältnis der Parteien anwendbar ist. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie muss zunächst in nationales Recht umgesetzt werden, um bei Verträgen zwischen Privatpersonen zu gelten. Das war aber erst mit der HOAI 2021 erfolgt. Nach den o. g. Maßgaben ist die HOAI 2013 folglich bei Verträgen zwischen Privaten weiterhin anwendbar (Vertragsabschluss bis 31.12.2020).

Im konkreten Fall hatte ein Planer im Jahr 2016 einen Vertrag abgeschlossen, der ein Pauschalhonorar enthielt. Zu diesem Zeitpunkt galt die HOAI 2013. Das vereinbarte Pauschalhonorar lag unter dem Mindestsatz. Der Planer klagte die Differenz zum Mindestsatz ein. Es ging immerhin um 102.934,59 Euro. Diese Aufstockungsklage hatte Erfolg.

Quelle: BGH, Urteil vom 2.6.2022, VII ZR 174/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Baurecht

Sind in der Teilungserklärung oder Gemeinschaftsordnung bestimmte Gemeinschaftseinrichtungen (hier: Schwimmbad und Sauna) und die Pflicht der Gemeinschaft zu deren Erhaltung vorgesehen, widersprechen Beschlüsse über deren Stilllegung ordnungsmäßiger Verwaltung. Eine Stilllegung ist nur einstimmig möglich. So hat es das Amtsgericht (AG) Hamburg-Altona entschieden.

Im Kern ging es um die praxisrelevante Frage, ob die Kompetenz der Eigentümergemeinschaft, bauliche Veränderungen zu beschließen, so weit geht, dass dadurch faktisch die Teilungserklärung nebst Gemeinschaftsordnung bzw. die in ihr niedergelegte Zweckbestimmung gemeinschaftlicher Flächen oder Einrichtungen geändert wird. Denn es gibt in vielen Gemeinschaften Einrichtungen, die nicht mehr zeitgemäß oder gewünscht sind, z. B. Müllabwurfanlagen.

Das war geschehen
Im Fall des AG verfügte eine Wohnungseigentumsanlage über ein in die Jahre gekommenes und entsprechend instandsetzungsbedürftiges Schwimmbad nebst Sauna. Beide Einrichtungen wurden in der Teilungserklärung als Teil des Gemeinschaftseigentums aufgeführt. Weiter sah die Teilungserklärung vor, dass die Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums der Gemeinschaft obliegt. Statt der Instandsetzung wurde in einer Eigentümerversammlung die Stilllegung von Schwimmbad und Sauna beschlossen und die Verwaltung zur Erteilung entsprechender Aufträge für die bauliche Umsetzung ermächtigt. Nach Auffassung der Gemeinschaft war der Stilllegungsbeschluss als Grundlagenbeschluss über eine bauliche Veränderung zu verstehen. Der Beschluss sei rechtmäßig, weil das neue Recht wesentlich veränderungsfreundlicher geworden sei.

Anfechtungsklage gegen den Beschluss – Einstimmigkeit nötig
Dagegen wandte sich ein Eigentümer mit der Anfechtungsklage – mit Erfolg. Das AG zweifelte schon daran, ob die Stilllegung einer Einrichtung überhaupt eine bauliche Veränderung sein kann. Unabhängig davon sei eine Beschlussfassung über bauliche Veränderungen nur in den Grenzen des Wohnungseigentumsgesetzes (hier: § 19 Abs. 1 WEG) zulässig. Aus dem Wortlaut der Norm ergebe sich, dass eine Beschlussfassung, die einer Vereinbarung widerspreche, gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung verstoße. Schon im alten Recht habe gegolten, dass bauliche Veränderungen nur dann beschlossen werden durften, wenn keine Vereinbarung entgegenstand. Weil die Teilungserklärung vorschreibe, dass Schwimmbad und Sauna durch die Gemeinschaft instand zu halten seien, sei eine Stilllegung nur einstimmig möglich.

Quelle: AG Hamburg-Altona, Urteil vom 11.1.22, 303c C 10/21

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Mietrecht

Ein mit der Grundlagenermittlung und Entwurfsplanung beauftragter Architekt muss seinen Auftraggeber über ein denkmalschutzrechtliches Genehmigungserfordernis aufklären. Zweck dieser Pflicht ist es, den Bauherrn in die Lage zu versetzen, die Realisierungschancen des Vorhabens einschätzen zu können. Nicht zum Schutzzweck der Verpflichtung gehört dagegen, den Bauherrn vor etwaigen Steuerschäden im Zusammenhang mit bestehenden Genehmigungserfordernissen zu bewahren. Der Bauherr kann deshalb bei unvollständiger Grundlagenermittlung nicht Ersatz entgangener steuerlicher Vergünstigungen beanspruchen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. hat die Berufung der Bauherren zurückgewiesen.

Das war geschehen
Die Bauherren beabsichtigten, eine Dachgeschosswohnung im Frankfurter Westend zu sanieren und beauftragten einen Architekten mit Architektenleistungen. Dieser klagte vor dem Landgericht (LG) ausstehendes Honorar ein. Die Bauherren beriefen sich dagegen u.a. auf Schadenersatzansprüche gegen den Architekten, da fälschlich erklärt worden sei, dass denkmalschutzrechtliche Gesichtspunkte beim Innenausbau unbeachtlich seien. Tatsächlich hätten sie bei richtiger Aufklärung das gesamte Bauvorhaben im Wege einer Sonderabschreibung nach dem Einkommensteuergesetz (§ 7h EStG) fördern lassen können. Ihnen sei wegen der falschen Aufklärung damit ein Steuerschaden in Höhe von gut 5.000 Euro entstanden.

So sahen es die Gerichte
Das LG hatte dem Architekten ausstehendes Honorar zugesprochen und den Schadenersatzanspruch der beklagten Bauherren wegen entgangener Steuervergünstigungen abgewiesen. Die Berufung der Bauherren hiergegen hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg.

Der Architekt habe zwar pflichtwidrig nicht über die denkmalschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit aufgeklärt, begründet das OLG seine Entscheidung. Auch im Rahmen der hier beauftragten Grundlagenermittlung und Entwurfsplanung müsse ein Architekt über die Genehmigungsbedürftigkeit eines Bauvorhabens vollständig und richtig informieren. Die Entwurfsplanung müsse zudem genehmigungsfähig erstellt werden. Dabei komme es nicht darauf an, ob bei der Beauftragung der Bauherr zum Ausdruck gebracht habe, bestimmte steuerliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu wollen.

Es fehle aber am Zurechnungszusammenhang zwischen dieser Pflichtverletzung und dem behaupteten Steuerschaden. Grundsätzlich hafte der Vertragspartner bei einer Pflichtverletzung nur für Schäden, die bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Pflichten gerade verhindert werden sollen. Dieser Schutzzweckzusammenhang liegt hier nicht vor. Die ordnungsgemäße Grundlagenermittlung betreffe zwar auch wirtschaftliche Folgen eines Bauvorhabens. Sie solle den Bauherrn über die erwarteten Kosten informieren, damit er sich auf einer geeigneten Grundlage für die Durchführung des Vorhabens entscheiden kann. Es bestehe aber keine allgemeine Verpflichtung des Architekten, in jeder Hinsicht die Vermögensinteressen des Bauherrn wahrzunehmen. Die Ermittlung der Genehmigungsbedürftigkeit betreffe nicht die wirtschaftlichen Fragen des Bauvorhabens, sondern diene dazu, die Realisierungschancen einschätzen zu können. „Sie zielt – jedenfalls ohne weitere Vereinbarung oder besondere Umstände – nicht darauf, dem Besteller die Möglichkeit steuerlicher Vergünstigungen zu erschließen“, betont das OLG. Solche Vergünstigungen seien vielmehr allein ein „Reflex der Genehmigung“.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 25.4.2022, 29 U 185/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Baurecht

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat entschieden: Bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) sind Freischichten nicht zu berücksichtigen, wenn diese bei Fälligkeit des Urlaubsanspruchs zu Beginn des Kalenderjahrs nicht dienstplanmäßig feststehen.

Das war geschehen
Die Klägerin ist bei dem beklagten Land im Gefangenenbewachungsdienst in Wechselschicht beschäftigt. Das beklagte Land stellt die Dienstpläne für das jeweils folgende Kalenderjahr vor Beginn des Jahres auf und sieht bei der Dienstplanung einen durchgehenden Turnus im gesamten Kalenderjahr ohne Einplanung von Freischichten, Urlaubstagen und Zusatzurlaubstagen vor. Die Dienstpläne haben einen von der 5-Tage-Woche abweichenden Schicht-Rhythmus. Aufgrund der Abweichung ist die Höhe des Urlaubsanspruchs nach § 26 Abs. 1 S. 4 TV-L gesondert zu berechnen.

Dies erfolgt nach der Formel:

Urlaubstage x Arbeitstage im Jahr bei abweichender Verteilung
Arbeitstage im Jahr bei einer Fünftagewoche

Streit besteht zwischen den Parteien darüber, wie die in der Formel einzusetzenden Arbeitstage zu ermitteln sind. Das beklagte Land hat bei der Ermittlung der Arbeitstage der Klägerin die durchschnittlich zum Zweck der Einhaltung der tariflichen Jahresarbeitszeit in der Wechselschicht zu gewährenden Freischichten von den dienstplanmäßig vorgesehenen Schichten abgezogen. Die Freischichten seien abzuziehen, weil während dieser Schichten keine Arbeitspflicht bestehe. Die Klägerin hält den Abzug der Freischichten von den dienstplanmäßigen Arbeitstagen für unzulässig und hat auf die Feststellung weiterer Urlaubstage geklagt.

So sieht es das LAG
Das LAG hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Bei einer von der Fünf-Tage-Woche abweichenden Verteilung der Arbeitszeit sei zu ermitteln, an wie vielen Kalendertagen dienstplanmäßig gearbeitet werden muss oder – in Fällen des nachträglichen Wegfalls der Arbeitspflicht, etwa wegen Arbeitsunfähigkeit, Urlaubs oder sonstiger Freistellung – hätte gearbeitet werden müssen. Bei einem zu Beginn des Kalenderjahrs durchgängig für das gesamte Jahr aufgestellten Dienstplan ohne Einplanung von Freischichten seien Arbeitstage alle Kalendertage, an denen die Beschäftigten für einen Arbeitseinsatz in der Tag- oder Nachtschicht vorgesehen seien. § 26 Abs. 1 S. 3 TV-L regele ausdrücklich, dass Arbeitstage solche Kalendertage seien, an denen die Beschäftigten dienstplanmäßig zur Arbeit vorgesehen seien. Nachträgliche Änderungen des Dienstplans hätten keinen Einfluss auf den Jahresurlaubsanspruch, der am 1.1. des Kalenderjahrs fällig sei und genommen werden könne. Es könne nicht erst am Jahresende rückblickend geprüft und festgestellt werden, wie viele Freischichten an ursprünglich geplanten Arbeitstagen tatsächlich gewährt worden seien – im Fall der Klägerin deutlich weniger als die durchschnittlich zu gewährenden Freischichten.

Das LAG hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) nicht zugelassen.

Quelle: LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4.5.2022, 23 Sa 1135/21

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Arbeitsrecht

Der Vermieter ist berechtigt, innerhalb eines Mieterhöhungsverfahrens sein formell ordnungsgemäßes vorprozessuales Erhöhungsverlangen nachträglich zu ermäßigen – etwa mit Erhebung der Zustimmungsklage. Das hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt.

Im Fall des BGH hatte die Vermieterin zunächst eine Erhöhung von 65 Euro monatlich verlangt, im Rahmen der Klage auf Zustimmung zum Mieterhöhungsverlangen aber nur noch rund 45 Euro begehrt. Sie hatte auf werterhöhende Wohnmerkmale im Prozess verzichtet. Die Mieter waren der Meinung, die Vermieterin hätte erst vorgerichtlich ein neues Mieterhöhungsverlangen zustellen müssen.

Das sah der BGH nicht so. Einer nochmaligen – den Lauf der im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 558b Abs. 1, 2 BGB) geregelten Fristen von Neuem auslösenden – Erklärung und Begründung bedarf es hierfür nach Ansicht des BGH nicht.

Quelle: BGH, Urteil vom 6.4.22, VIII ZR 219/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Mietrecht

Die Vorlage eines gefälschten Genesenennachweises anstelle eines tagesaktuellen Corona-Tests oder Impfnachweises kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Das hat das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin entschieden und eine Kündigungsschutzklage abgewiesen.

Regeln des Infektionsschutzgesetzes
Nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 28b Abs. 1 InfSchG in der vom 24.11.2021 bis 19.3.2022 gültigen Fassung) durften Beschäftigte Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können, nur nach Vorlage eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder eines tagesaktuellen Tests im Sinne der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung betreten.

Das war geschehen
Der als Justizbeschäftigter bei einem Gericht tätige Kläger legte einen Genesenennachweis vor, obwohl bei ihm keine Corona-Erkrankung festgestellt worden war, und erhielt so Zutritt zum Gericht ohne Vorlage eines aktuellen Tests oder Impfnachweises. Nachdem festgestellt wurde, dass es sich bei dem Genesenennachweis um eine Fälschung handelte, erklärte das Land Berlin als Arbeitgeber nach Anhörung des Justizbeschäftigten die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Diese Kündigung ist nach der Entscheidung des ArbG wirksam, weil der erforderliche wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliege.

Justizbeschäftigter: erkennbar, dass Fälschung Konsequenzen haben würde
Der Arbeitgeber habe einen Zutritt nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28b Abs. 1 InfSchG gewähren dürfen. Den hier geregelten Nachweispflichten komme auch im Hinblick auf den angestrebten Gesundheitsschutz für alle Menschen im Gericht eine erhebliche Bedeutung zu. Deshalb sei die Verwendung eines gefälschten Genesenennachweises zur Umgehung dieser geltenden Nachweispflichten eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Rücksichtnahmepflichten. Eine vorherige Abmahnung dieses Sachverhalts sei nicht erforderlich. Es sei für den Kläger als Justizbeschäftigten ohne Weiteres erkennbar gewesen, dass ein solches Verhalten nicht hingenommen werde. Auch im Hinblick auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses von drei Jahren überwiege das arbeitgeberseitige Interesse an einer sofortigen Beendigung.

Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg eingelegt werden.

Quelle: ArbG Berlin, Urteil vom 26.4.2022, 58 Ca 12302/21

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Arbeitsrecht

Eine Fahrerlaubnis kann auch aufgrund einer anonymen Anzeige entzogen werden. Das machte das Verwaltungsgericht (VG) Cottbus deutlich und lehnte den Eilantrag eines Autofahrers gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis ab.

Das war geschehen
Ursache des Verfahrens war, dass die zuständige Straßenverkehrsbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen hatte, nachdem sie von einem der Polizei anonym zugespielten Drogengutachten Kenntnis erlangt hatte. Das Drogengutachten war beim Antragsteller in einem familienrechtlichen Verfahren durchgeführt worden. Es wies den Konsum von Kokain und Amphetamin nach. Der Antragsteller wandte sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis. In seinem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz machte er hinsichtlich des Gutachtens ein Beweisverwertungsverbot geltend. Außerdem habe er vor drei Monaten ein Entzugsprogramm durchgeführt und befinde sich in Behandlung. Daher sei ein weiterer Drogenkonsum nicht zu erwarten.

Schutzinteresse der Allgemeinheit überwiegt
Das Gericht hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Gutachtens nicht bestehe. Es sei zu unterscheiden zwischen strafrechtlichen und gefahrenabwehrrechtlichen Maßnahmen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis diene dem Schutz von Leben und Gesundheit unbeteiligter Verkehrsteilnehmer vor Gefahren, die von ungeeigneten Kraftfahrern ausgingen. Dieses Schutzinteresse überwiege das Interesse des Antragstellers, anzunehmen, dass das ihn betreffende Gutachten außerhalb des familienrechtlichen Verfahrens keine Folgen habe. Im Hinblick auf staatliche Schutzpflichten sei es nicht hinnehmbar, wenn die Fahrerlaubnisbehörde trotz Kenntnis von der Ungeeignetheit eines Fahrerlaubnisinhabers nicht einschreiten dürfte und die Gefahr in Kauf nehmen müsste.

Harte Drogen: kein Führen von Kraftfahrzeugen
Durch den Konsum harter Drogen (Kokain, Amphetamin) habe sich der Antragsteller auch zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erwiesen, weshalb ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen gewesen sei. Dabei sei es zum jetzigen Zeitpunkt unerheblich, dass der Antragsteller an einer Drogenentzugstherapie teilgenommen habe und sich auch weiterhin in Behandlung befinde. Eine Entwöhnung und Entgiftung sei erst nach einer einjährigen Abstinenzphase anzunehmen. Da eine einjährige Abstinenz noch nicht nachgewiesen sei, habe der Antragsteller seine Fahreignung noch nicht wiedererlangt.

Quelle: VG Cottbus, Beschluss vom 28.4.2022, VG 7 L 82/22

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Verkehrsrecht