Der Bereitschaftsdienst von Klinikärzten ist Arbeitszeit. Er zählt auch als Zeit der Erwerbstätigkeit im Sinne des Elterngeldrechts und kann deshalb dazu führen, dass ein Arzt keine sog. Partnerschaftsbonus-Monate beim Elterngeld bekommt. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt entschieden.

Das war geschehen

Geklagt hatte eine Klinikärztin. Nach der Geburt ihres Kindes im Jahr 2016 hatte sie elf Monate das Basiselterngeld bezogen, ihr Ehemann anschließend drei weitere Monate. Danach arbeiteten beide in Teilzeit und nahmen die vier sog. Partnerschaftsbonus-Monate in Anspruch. Das setzte nach dem damaligen Recht voraus, dass beide Elternteile in diesen vier Monaten gleichzeitig im Monatsdurchschnitt nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig waren. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Ärztin, wenn man ihre Bereitschaftsdienste in der Klinik vollständig mitzählte, in einigen Monaten mehr als 30 Stunden pro Woche gearbeitet hatte. Deshalb forderte die zuständige Behörde das für die vier Partnerschaftsbonus-Monate zunächst nur vorläufig gezahlte Elterngeld zurück.

Bereitschaftsdienst keine Erwerbstätigkeit?

Dagegen klagte die Ärztin. Sie meinte, dass der Bereitschaftsdienst keine Erwerbstätigkeit im Sinne des Gesetzes sei. Sie müsse sich zwar in der Klinik aufhalten, könne die Zeit im Bereitschaftsdienstzimmer aber weitgehend frei nutzen. Wenn man nur die Zeiten zähle, in denen sie tatsächlich zum Einsatz gekommen sei, habe sie durchweg weniger als 30 Stunden pro Woche gearbeitet. Mit dieser Argumentation hatte sie in erster Instanz vor dem Sozialgericht (SG) Erfolg.

Zeiten des Bereitschaftsdienstes konsequent zu berücksichtigen

Auf die Berufung der Elterngeldstelle hat das LSG ihre Klage aber in einer jetzt veröffentlichten Entscheidung in zweiter Instanz abgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts ist der Bereitschaftsdienst vollständig als Zeit der Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, weil die Ärztin sich auf Weisung ihres Arbeitgebers in der Klinik aufhalten musste und weil dieser Dienst vergütet wurde. Ein weiterer Gesichtspunkt sei, dass die Ärztin sich während des Bereitschaftsdienstes gerade nicht um die Betreuung ihres Kindes kümmern konnte. Außerdem richte sich die Höhe des Elterngeldes nach dem Einkommen vor der Geburt. Hier wirke sich auch Einkommen aus Bereitschaftsdiensten positiv für den Elterngeldberechtigten aus. Dann sei es aber konsequent, solche Zeiten auch bei den Voraussetzungen der Partnerschaftsbonus-Monate zu berücksichtigen.

Quelle: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15.12.2022, L 2 EG 3/21, PM 2/23

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jetzt klargestellt: Eine von einem Standesbeamten des Ursprungsmitgliedstaats errichtete Scheidungsurkunde, die eine Vereinbarung der Ehegatten über die Ehescheidung enthält, die sie vor dem Standesbeamten getreu den in den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen bestätigt haben, stellt eine „Entscheidung“ im Sinne der Brüssel-IIa-Verordnung dar. Sie ist damit (auch) in Deutschland anzuerkennen.

Das war geschehen
Im Jahr 2013 heirateten eine deutsche und italienische Staatsangehörige und ein italienischer Staatsangehöriger in Deutschland. Im Anschluss an ein außergerichtliches Scheidungsverfahren nach italienischem Recht stellte ihnen im Jahr 2018 der italienische Standesbeamte eine Bescheinigung über die Ehescheidung aus. Die deutschen Standesamtsbehörden verweigerten die Beurkundung dieser Scheidung wegen fehlender vorheriger Anerkennung durch die zuständige deutsche Landesjustizverwaltung. Der mit der Sache befasste deutsche Bundesgerichtshof (BGH) sah sich vor die Frage gestellt, ob der Entscheidungsbegriff der Brüssel-IIa-Verordnung über die Anerkennung von Entscheidungen über Ehescheidungen den Fall einer außergerichtlichen Scheidung erfasst, die durch eine von den Ehegatten geschlossene Vereinbarung bewirkt und von einem Standesbeamten eines Mitgliedstaats nach dessen Rechtsvorschriften ausgesprochen wurde.

So sieht es der Europäische Gerichtshof
Der EuGH: In Ehescheidungssachen umfasst der Begriff „Entscheidung“ im Sinne dieser Verordnung jede Entscheidung über eine Ehescheidung in einem gerichtlichen oder aber außergerichtlichen Verfahren, sofern das Recht der Mitgliedstaaten auch nicht-gerichtlichen Behörden Zuständigkeiten in Ehescheidungssachen zuweist. Somit muss jede Entscheidung solcher nichtgerichtlichen Behörden, die in einem Mitgliedstaat in Ehescheidungssachen zuständig sind, automatisch anerkannt werden, sofern die in der Brüssel-IIa-Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Darüber hinaus verweist der Gerichtshof auf seine Rechtsprechung, wonach von der Brüssel-IIa-Verordnung nur Ehescheidungen erfasst werden, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde oder unter deren Kontrolle ausgesprochen werden, was reine Privatscheidungen ausschließt.

Scheidungsvoraussetzungen nach nationalem Recht sind zu prüfen
Daraus leitet der EuGH ab, dass jede Behörde, die eine „Entscheidung“ treffen muss, die Kontrolle über den Ausspruch der Ehescheidung behalten muss, was bei einvernehmlichen Ehescheidungen impliziert, dass sie eine Prüfung der Scheidungsvoraussetzungen anhand des nationalen Rechts vornehmen und prüfen muss, ob das Einvernehmen der Ehegatten über die Scheidung tatsächlich gegeben und gültig ist.

Der EuGH erläutert, dass dieses Prüfungserfordernis das Kriterium zur Abgrenzung des Begriffs „Entscheidung“ von den ebenfalls in der Brüssel-IIa-Verordnung vorkommenden Begriffen „öffentliche Urkunde“ und „Vereinbarung zwischen den Parteien“ ist. Dabei stellt er klar, dass dieses Kriterium ebenso wie die Regelung für öffentliche Urkunden und Vereinbarungen zwischen den Parteien im Rahmen der Brüssel-IIb-Verordnung, die die Brüssel-IIa-Verordnung seit dem 1.8.2022 ersetzt hat, übernommen und präzisiert wurde.

Standesbeamter in Italien vergewissert sich über Inhalt der Scheidungsvereinbarung
In Bezug auf die vorliegende Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass der Standesbeamte in Italien als gesetzlich eingesetzte Behörde dafür zuständig ist, die Ehescheidung rechtsverbindlich auszusprechen, indem er die von den Ehegatten aufgesetzte Scheidungsvereinbarung nach einer Prüfung in Schriftform beurkundet. Der Standesbeamte vergewissert sich nämlich, dass das Einvernehmen der Ehegatten zur Scheidung gültig, aus freien Stücken und in Kenntnis der Sachlage erteilt wird. Er prüft auch den Inhalt der Ehescheidungsvereinbarung anhand der geltenden Rechtsvorschriften, indem er sich vergewissert, dass sich die Vereinbarung nur auf die Auflösung der Ehe oder die Beendigung der zivilen Wirkungen der Ehe bezieht und weder Vermögenswerte übertragen werden noch andere als volljährige wirtschaftlich unabhängige Kinder betroffen sind. Im Ergebnis handelt es sich somit um eine von den deutschen Standesamtsbehörden automatisch anzuerkennende „Entscheidung“ im Sinne der Brüssel-IIa-Verordnung.

Quelle: EuGH, Urteil vom 15.11.2022, C-646/20, PM 183/22 vom 15.11.2022

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Mit einem besonderen Fall einer Schenkung hat das Landgericht (LG) Frankenthal befasst: Ein Mann hatte gegenüber seiner Versicherung bestimmt, dass der nach seinem Tod fällige Auszahlungsbetrag der Lebens- oder Riester-Rentenversicherung nicht an seine Erben, sondern an eine Bekannte ausgezahlt werden sollte. Erzählt hatte er seiner Bekannten davon nichts. In einem solchen Fall bestehe nach Darstellung des LG für die beschenkte Person ein Risiko, was sich hier realisiert habe: Nach dem Tod des Schenkers hatten die Erben das Schenkungsangebot an die bedachte Bekannte nämlich noch widerrufen, bevor die Versicherung es an Letztere übermitteln konnte. Die Bekannte ging deshalb leer aus.

Da die Bekannte von der geplanten Zuwendung zu Lebzeiten des Mannes keine Kenntnis hatte, konnte ein Schenkungsvertrag allenfalls noch nach seinem Tod zustande kommen, so das LG. In dem Auftrag des Erblassers an die Versicherung, im Todesfall die Leistung an seine Bekannte auszuzahlen, liege in solchen Fällen gleichzeitig auch der Auftrag an den Versicherer, das Schenkungsangebot an die Beschenkte zu übermitteln. Diese müsse es dann noch annehmen. Bis zur Überbringung des Schenkungsangebots könne dieses von den Erben jedoch noch widerrufen werden, was hier auch erfolgt war. Die Schenkung scheiterte. Damit hatte die Frau keinen Rechtsgrund mehr, das Geld zu behalten und musste es den klagenden Erben überlassen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es ist Berufung zum Pfälzischen Oberlandesgericht (OLG) eingelegt worden.

Quelle: LG Frankenthal, Urteil vom 12.10.2022, 8 O 165/22

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Der Erblasser hatte handschriftlich ein Testament errichtet. Das Original wurde nach seinem Tod jedoch nicht gefunden. Stattdessen fand sein Sohn in der Werkstatt des Verstorbenen die Kopie eines handschriftlichen Testaments – verwahrt in einer Plastiktüte. Das OLG Karlsruhe hat geklärt, ob sich hieraus Rückschlüsse auf den Testierwillen des Erblassers ziehen lassen.

Zweifel waren deshalb angebracht, weil das Original nicht auffindbar war, der Erblasser es mithin nicht sorgsam aufbewahrt hatte und dessen Existenz auch nicht gegenüber Dritten nachweisbar bestätigt hatte. Die Gretchenfrage: Lässt sich aus den Umständen der Aufbewahrung der Kopie ein Rückschluss auf den Testierwillen ziehen, wenn das Original nicht mehr aufgefunden werden kann? Dem OLG genügte die Situation nicht, um daraus zu schließen, dass der Erblasser bewusst und gewollt eine rechtsverbindliche Anordnung treffen wollte – zumal er sich zwei Wochen nach Errichtung der Urkunde erbrechtlich hatte beraten lassen. Im Ergebnis trat daher die gesetzliche Erbfolge ein und die Ehefrau saß „mit am Tisch“.

Quelle: OLG Karlsruhe, Urteil vom 11.3.2022, 11 W 104/20 Wx

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Lehnt die allein sorgeberechtigte Mutter die Impfung einer 15-Jährigen strikt ab, ist dies ein Sorgerechtsmissbrauch, der dem Kindeswohl zuwiderläuft. Das rechtfertigt den Teilentzug der elterlichen Sorge. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken.

Die 15-jährige Tochter lebt nicht mehr bei der allein sorgeberechtigten Mutter und möchte dorthin auch nicht zurückkehren. Sie hat seit längerer Zeit den Wunsch geäußert, gegen das Coronavirus geimpft zu werden, was die Mutter aber ablehnte. Das Familiengericht hat auf Anregung des Jugendamts der Mutter die elterliche Sorge in dem Teilbereich des Rechts zur Entscheidung über eine Covid-19 Impfung entzogen und die Ergänzungspflegschaft angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter blieb erfolglos.

Im Fall einer Kindeswohlgefährdung, so das OLG, muss das Gericht die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Gefahr abzuwehren, wenn das allein sorgeberechtigte Elternteil hierzu nicht gewillt oder in der Lage ist. Im Fall des OLG bestanden weder Zweifel an der Eignung der Tochter, die Tragweite der Impfentscheidung zu erfassen, noch an der Ernsthaftigkeit, auch künftig den Kontakt zur Mutter abzulehnen. Solange der Konflikt währt, ist nach dem OLG eine Risikoabwägung und eine Entscheidung über die Frage, ob eine Impfung erfolgt, nicht in konstruktiver und kindeswohldienlicher Weise möglich. Die bei der Anhörung der Mutter – im Beisein der Tochter – abermals geäußerte strikte Ablehnung der Impfung ist ein dem Kindeswohl zuwiderlaufender, nachhaltig ausgeübter Sorgerechtsmissbrauch, der den Teilentzug der elterlichen Sorge gebietet. Die Covid-19 Impfung ist für die Tochter bedeutsam.

Quelle: OLG Zweibrücken, Urteil vom 28.7.2022, 2 UF 37/22

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Bewohner einer stationären Pflegeeinrichtung müssen trotz Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie das volle Heimentgelt zahlen. So hat es der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt entschieden.

Die Klägerin schuldete der Beklagten ein Zimmer sowie Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz in Verbindung mit dem Pflegevertrag. Diese Kernleistungen konnte sie trotz der angeordneten Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen voll erbringen. Eine Entgeltkürzung wegen Nicht- oder Schlechtleistung scheidet daher aus.

Das Heimentgelt war auch nicht wegen Störung der Geschäftsgrundlage herabzusetzen. Durch die Beschränkungen hat sich die Geschäftsgrundlage des Pflegevertrags nicht schwerwiegend geändert. Diese Beschränkungen dienten primär dem Gesundheitsschutz der (vulnerablen) Heimbewohner und der Mitarbeiter, ohne den Vertragszweck infrage zu stellen.

Die Schlussfolgerung des BGH: Der Beklagten war es zuzumuten, am unveränderten Vertrag festzuhalten. Er wies darauf hin, dass der Lockdown das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben erfasste, also auch Nichtheimbewohner.

Quelle: BGH, Urteil vom 28.4.2022, III ZR 240/21, PM 78/2022 vom 1.6.2022

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt entschieden: Die Beurteilung, ob die Rückführung eines kurz nach der Geburt in Obhut genommenen Kindes zu seinen Herkunftseltern zu einer Kindeswohlgefährdung führt, bedarf regelmäßig eines psychologischen Gutachtens. Dies gilt insbesondere, wenn sich das Jugendamt und der Verfahrensbeistand des Kindes gegen eine Kindesrückführung aussprechen. Das OLG hob deshalb einen Beschluss des Amtsgerichts (AG) auf, mit dem u.a. der Antrag der Pflegeeltern auf Anordnung des Verbleibes des Kindes bei ihnen zurückgewiesen worden war.

Das war geschehen
Das im Jahr 2020 geborene Kind ist die zweite Tochter der nicht miteinander verheirateten Kindeseltern, die über das gemeinsame Sorgerecht verfügten. Die ältere Schwester war bereits unmittelbar nach der Geburt in Obhut genommen und die u.a. eingerichtete Amtspflegschaft später gerichtlich bestätigt worden. Auch das betroffene Kind war bereits wenige Tage nach der Geburt gegen den Willen der Eltern in Obhut genommen worden und lebt bei Pflegeeltern. Ein drittes Kind der Eltern lebt seit seiner Geburt bei den Eltern.

Die Pflegeeltern begehrten im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens die Anordnung des dauerhaften Verbleibs des Kindes bei ihnen. Das für den Aufenthaltsort der Eltern zuständige Jugendamt setzte sich – anders als das am Verfahren beteiligte und für den Aufenthaltsort des Kindes zuständige Jugendamt – für eine Rückführung des Kindes zu seinen Eltern ein; vorbereitend sollten intensivierte Umgänge stattfinden. Der Verfahrensbeistand des Kindes sprach sich gegen eine Rückführung aus. Das AG sah keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung im Fall der Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Herkunftseltern, sodass es von familiengerichtlichen Maßnahmen absah und die beantragte Verbleibensanordnung nicht erließ.

Oberlandesgericht: Psychologisches Sachverständigengutachten regelmäßig nötig
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Pflegeeltern und des vormaligen Amtspflegers führten zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das AG. Die Entscheidung über die Folgen der Trennung des Kindes von seiner sozialen Familie könne im Hinblick auf die Gestaltung des Verfahrens regelmäßig ohne ein psychologisches Sachverständigengutachten nicht entschieden werden, betonte das OLG.

Kindeswohl entscheidend
Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung des Kindeswohls sei insbesondere die Frage, ob und wenn ja, in welchem Umfang das Kind Bindungen zu seinen Pflegepersonen und deren Umfeld aufgebaut habe und durch einen Abbruch dieser Bindungen in seinem Wohl gefährdet werden würde, umfassend aufzuklären. Zur Beurteilung dieser für das Kind existenziellen Frage habe sich das AG nicht allein auf die Angaben des nicht am Verfahren beteiligten Jugendamts am Wohnort der Eltern stützen dürfen. Es hätte vielmehr ein psychologisches Sachverständigengutachten einholen müssen. Für das betroffene Kind lägen hier zudem besondere Risikofaktoren vor. Es reagiere besonders sensibel auf Stresssituationen, die teilweise auch pathologische Reaktionen bewirkten.

Es sei deshalb seitens des AG u.a. durch Einholen eines Gutachtens umfassend aufzuklären, ob die Rückführung des Kindes zu seinen Eltern mit einer Kindeswohlgefährdung einhergingen und die Eltern zur Ausübung des Sorgerechts ohne Gefährdung des Kindeswohls imstande seien.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 3.3.2022, 6 UF 225

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Infiziert sich eine schwer demenzkranke Heimbewohnerin mit dem Corona-Virus und ist anzunehmen, dass sie krankheitsbedingt einer Quarantäneanordnung nicht Folge leisten wird, kann das Amtsgericht (AG) bei symptomlosem Verlauf im Einzelfall eine Absonderung in ihrem abgeschlossenen Zimmer anordnen – allerdings nur, wenn das Gesundheitsamt nach gründlicher Prüfung des Falls einen entsprechenden Antrag stellt. So hat es das AG Bad Idburg entschieden.

Die Betroffene ist 92 Jahre alt und bewohnt ein Zimmer in einem Pflegeheim. Sie leidet unter einer weit fortgeschrittenen Demenz mit mangelnder Mitarbeit an einer Therapie und starker motorischer Unruhe. Sie läuft also quasi den ganzen Tag im gesamten Heim umher und besucht dabei andere Bewohnerinnen und Bewohner auch in ihren Zimmern. Anfang Februar infizierte sich die Betroffene mit dem Corona-Virus. Die Infektion verlief symptomlos.

Um zu verhindern, dass die Betroffene das Virus durch Kontakt mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern weiterträgt, ordnete der Gesundheitsdienst des Landkreises Osnabrück auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes die Absonderung („Quarantäne“) der Betroffenen an. Da er infolge der Demenzerkrankung davon ausging, dass die Betroffene der Quarantäneanordnung nicht ausreichend Folge leisten würde, beantragte er zugleich ihre Absonderung in ihrem abgeschlossenen Zimmer.

Das Betreuungsgericht hat die Absonderung der Betroffenen in ihrem abgeschlossenen Zimmer angeordnet. Die Absonderung der Betroffenen im geschlossenen Zimmer sei nach dem Infektionsschutzgesetz zulässig und geboten gewesen. Die zur Vermeidung der Ansteckung anderer Personen erforderlichen Verhaltensweisen könne die Betroffene aufgrund der bei ihr vorliegenden psychiatrischen Erkrankung und der damit verbundenen kognitiven Defizite nicht erkennen und nicht einhalten. Die Betroffene sei körperlich mobil und durch Ansprache nicht dazu zu bringen, von anderen Bewohnern und Pflegepersonen fernzubleiben. Sie bleibe nicht in ihrem Zimmer, sondern möchte dieses unbedingt verlassen und die Gemeinschaftsräumlichkeiten aufsuchen.

Dieser Sachverhalt stand zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der durchgeführten Ermittlungen fest. So hat die Betreuungsrichterin eine Stellungnahme des Hausarztes ausgewertet, die Pflegedienstleiterin und den Bezugspfleger befragt und sich schließlich bei einer persönlichen Anhörung der Betroffenen (die aus Infektionsschutzgründen durch das geöffnete Fenster stattfand) einen eigenen unmittelbaren Eindruck verschafft.

Quelle: AG Bad Idburg, Beschluss vom 17.2.2022, 11 XVII W 2765, PM vom 17.2.2022

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Ein Nachfahre einer Adelsfamilie, die ihren Titel „Freiherr“ infolge der Französischen Revolution und der Besetzung der linksrheinischen Gebiete verloren hatte, kann diesen nicht im Rahmen der Berichtigung seines Geburtenregisters zurückerlangen, wenn bereits die Unrichtigkeit des zuvor eingetragenen Familiennamens des Vaters nicht hinreichend sicher festgestellt werden kann. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken.

Die Familie des Beschwerdeführers ließ sich Ende des 18. Jahrhunderts im Raum Trier nieder. Infolge der Französischen Revolution und der Besetzung der linksrheinischen Gebiete wurden die Vorrechte des Adels, seine Prädikate und Titel aufgehoben. So verlor auch der Ur-Ur-Urgroßvater des Beschwerdeführers seinen Adelstitel „Freiherr“. Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft wurde die Rheinprovinz im Rahmen der territorialen Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/1815 dem Königreich Preußen zuerkannt. Unter dem preußischen Herrschaftssystem gelang es dem Ur-Ur-Urgroßvater des Beschwerdeführers nicht mehr, seinen Adelstitel wiederzuerlangen.

Der Titel wurde auch nicht in das Geburtenregister des Beschwerdeführers Mitte des 20. Jahrhunderts eingetragen. Er wandte sich 2020 erfolglos an das Amtsgericht (AG) und begehrte die Berichtigung seines Geburtenregisters u. a. dahingehend, dass er in seinem Geburtsnamen den Adelstitel „Freiherr“ führe.

Das OLG hat die Ansicht des AG bestätigt: Es ist nicht ersichtlich, dass der Geburtsname des Beschwerdeführers oder der Familienname seines Vaters im Geburtenregister falsch eingetragen ist. Der Beschwerdeführer kann sich auch nicht erfolgreich auf Regelungen der Weimarer Reichsverfassung berufen, die im deutschen Recht weitergelten. Dort (Art. 109 Abs. 3 WRV) ist geregelt, dass Adelsbezeichnungen nur als Teil des Namens gelten und nicht mehr verliehen werden. Adelsfamilien dürfen danach ihre Adelstitel nur weiterführen, wenn sie diese bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung am 14.8.1919 getragen hatten.

Die herrschende Rechtsprechung geht deshalb davon aus, dass Adelsbezeichnungen jedenfalls dann nicht Bestandteil des Namens geworden sind, wenn sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung längere Zeit im Rechtsverkehr nicht mehr geführt worden sind.

Da vorliegend neben dem Ur-Ur-Urgroßvater des Beschwerdeführers drei weitere Generationen seiner Familie den Adelstitel bis zum Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung am 14.8.1919 nicht mehr getragen hatten, kann sich der Beschwerdeführer nicht mehr erfolgreich darauf berufen, dass der Titel Bestandteil des Namens geworden ist. Der Adelstitel ist insoweit unter dem Regime des bürgerlichen Rechts untergegangen.

Quelle: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2021, 3 W 98/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine leibliche Mutter auch nach einer Adoption ihrem Kind Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters geben muss.

Eine im Jahr 1984 geborene Antragstellerin verlangte von ihrer leiblichen Mutter, der Antragsgegnerin, Auskunft über die Person des leiblichen Vaters. Bei der Geburt war die in problematischen Familienverhältnissen aufgewachsene Antragsgegnerin gerade 16 Jahre alt geworden. Sie hatte die Schwangerschaft erst im siebten Monat bemerkt und die Hauptschule, deren siebte Klasse sie damals besuchte, ohne Schulabschluss verlassen. Nach der Geburt lebte sie mit der Antragstellerin zunächst in einem Mutter-Kind-Heim und später in einer Mädchen-Wohngemeinschaft, ehe die Antragstellerin von einem Ehepaar adoptiert wurde.

Ein 1985 durchgeführtes Vaterschaftsfeststellungsverfahren blieb ebenso erfolglos wie ein außergerichtlicher Vaterschaftstest mit einem weiteren Mann. Ende 2003 kam es auf Vermittlung des Jugendamts zu einem Treffen zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin. Nachdem die Antragstellerin die Antragsgegnerin im März 2018 erfolglos aufgefordert hatte, Namen und Anschrift des leiblichen Vaters zu benennen, hat sie diese Auskunft nun im gerichtlichen Verfahren verlangt.

Das Amtsgericht (AG) hat den Antrag zurückgewiesen, weil der Antragsgegnerin die Auskunftserteilung unmöglich sei. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Oberlandesgericht (OLG) diese Entscheidung geändert und die Antragsgegnerin antragsgemäß verpflichtet, der Antragstellerin alle Männer mit vollständigem Namen und Adresse zu nennen, die der Antragsgegnerin in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt haben.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die dagegen von der Antragsgegnerin eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1618a BGB) müssen Eltern und Kinder einander Beistand leisten. Auch wenn die Vorschrift keine konkreten Sanktionen bei einem Verstoß vorsieht, können Eltern und Kindern aus der Vorschrift wechselseitig Rechtsansprüche erwachsen. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates, der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung bei der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen.

Zudem geht es nicht allein um die Durchsetzung finanzieller Interessen. Vielmehr wird mit dem Auskunftsanspruch eine Rechtsposition von ganz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung gestärkt, nämlich das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.

Dass die Antragsgegnerin wegen der Adoption der Antragstellerin und dem daraus folgenden Erlöschen des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses nicht mehr die rechtliche Mutter der Antragstellerin ist, steht dem Anspruch nicht entgegen. Denn das Auskunftsschuldverhältnis zwischen Kind und Mutter ist vor der Adoption entstanden. Würde man dies anders sehen, würde die Adoption hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber Kindern führen, deren rechtliche Eltern-Kind-Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter fortbesteht. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin auch keine erheblichen, gegen ihre Auskunftsverpflichtung sprechenden Abwägungsgesichtspunkte vorgetragen, sondern im Gegenteil zu keinem Zeitpunkt bestritten, dass der Auskunftsanspruch der Antragstellerin grundsätzlich besteht. Somit hat sie sich nicht auf konkrete Belange berufen, die mit Blick auf ihr ebenfalls verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Achtung ihrer Privat- und Intimsphäre dazu führen könnten, das Bestehen des Auskunftsanspruchs zu verneinen.

Mit der bloßen Mitteilung, sie könne sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern, hat die Antragsgegnerin den Auskunftsanspruch nicht erfüllt. Sie hat auch nicht dargelegt, dass ihr eine Erfüllung auch nach Einholen der ihr zumutbaren Erkundigungen unmöglich ist. Sie könnte sich an eine Reihe von möglichen Kontaktpersonen wenden, um Hinweise zu potenziellen leiblichen Vätern der Antragstellerin zu erhalten. Diesen Nachfragemöglichkeiten fehlt es weder an der Erfolgsaussicht noch sind sie der Antragsgegnerin unzumutbar.

Quelle: BGH, Beschluss vom 19.1.2022, XII ZB 183/21

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl