Das Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden hat eine Klage abgewiesen, mit der der Kläger die Ausstellung eines Personalausweises ohne Speicherung der Fingerabdrücke auf dessen elektronischem Speichermedium (sog. „Chip“) begehrte.

Pflicht aufgrund europäischer Verordnung
Die Pflicht zur Speicherung von Fingerabdrücken bei Ausweisen beruht auf der europäischen Verordnung (hier: (EU) 2019/1157 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019) zur Erhöhung der Sicherheit der Personalausweise von Unionsbürgern und der Aufenthaltsdokumente, die Unionsbürgern und deren Familienangehörigen ausgestellt werden, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben. Der Kläger trug vor, dass hierdurch seine Grundrechte auf Schutz des Privatlebens nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 7 GRCh) und auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) verletzt würden.

So sah es der Europäische Gerichtshof
Das VG hatte das Verfahren zunächst ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem Vorabentscheidungsverfahren die Frage vorgelegt, ob die Pflicht zur Aufnahme von Fingerabdrücken in Personalausweisen mit höherrangigem Unionsrecht vereinbar ist. Der EuGH hatte entschieden, dass die Verordnung wegen der Durchführung eines ungeeigneten Gesetzgebungsverfahrens ungültig sei. Die Wirkungen der Verordnung würden jedoch aufrechterhalten bleiben, bis innerhalb einer angemessenen Frist, die zwei Jahre ab dem 1.1.2025 nicht überschreiten dürfe, eine neue, im korrekten Gesetzgebungsverfahrens erlassene Verordnung in Kraft trete, die sie ersetzt. In materieller Hinsicht verstoße die Einschränkung der in Art. 7 und Art. 8 GRCh garantierten Rechte nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sodass die Verordnung nicht aus diesem Grund ungültig sei.

So entschied das Verwaltungsgericht
Die Ablehnung der Ausstellung eines Personalausweises ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken sei rechtmäßig, so das VG, und verletze den Kläger deshalb auch nicht in seinen Rechten. Das VG sei an das Urteil des EuGH gebunden, insbesondere bezüglich der Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit. Auch im Hinblick auf die im konkreten Verfahren vorliegende Frage der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Ausstellung eines Personalausweises ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken durch die Landeshauptstadt Wiesbaden sei keine andere Beurteilung geboten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei auch im konkreten Fall gewahrt. In der Ablehnung der Ausstellung eines Personalausweises ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken durch die Beklagte liege kein Verstoß gegen Grundrechte.

Auch habe das VG für die Entscheidung über den vorliegenden Fall nicht den Fristablauf der Fortgeltung der o. g. Verordnung oder den Erlass einer neuen Verordnung abwarten müssen. Angesichts der Entscheidung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren sei die Sache entscheidungsreif. Der EuGH habe ausdrücklich entschieden, dass die Wirkungen der Verordnung aufrechterhalten blieben, weshalb im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein Anspruch des Klägers auf Ausstellung eines Personalausweises ohne Speicherung von Fingerabdrücken bestehe. Die Frage, ob sich ein solcher Anspruch möglicherweise in der Zukunft infolge einer Änderung der Rechtslage ergeben könnte, sei im vorliegenden Verfahren nicht von Relevanz.

Quelle: VG Wiesbaden, Urteil vom 18.12.2024, 6 K 1563/21.WI

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Landgericht (LG) Berlin II hat eine Wohnungsbaugesellschaft zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 11.000 Euro wegen einer Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verurteilt. Die Vermieterin habe den Mieter wegen seiner Behinderung diskriminiert.

Mieter war auf Rollstuhl angewiesen
Der Mieter sitzt im Rollstuhl. Um sein Wohnhaus eigenständig verlassen oder betreten zu können, verlangten er und sein Ehemann von der Vermieterin die Zustimmung zum Bau einer Rampe. Die Vermieterin verweigerte diese, sodass die Frage in einem – anderen – gerichtlichen Verfahren geklärt werden musste. Laut der dortigen Entscheidung des LG musste die Vermieterin die Zustimmung zum Bau einer Rampe erteilen. Im weiteren Verfahren sprach das LG dem Mieter nun eine Entschädigung zu, weil die Vermieterin ihn aufgrund seiner Behinderung diskriminiert habe. Grundlage ist das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot nach § 19 AGG. Danach ist eine Benachteiligung, z.B. wegen einer Behinderung, auch in zivilrechtlichen Massengeschäften unzulässig. Vermietung von Wohnraum fällt darunter, sofern Vermieter insgesamt mehr als 50 Wohnungen vermieten, was vorliegend der Fall ist.

Unmittelbare Benachteiligung des Mieters
Da die Vermieterin die Zustimmung zum Bau der Rampe über zwei Jahre bis zur Entscheidung des LG verwehrte, habe sie den Mieter durch Unterlassen unmittelbar benachteiligt. Sie sei nach § 5 AGG verpflichtet gewesen, die Benachteiligung des Klägers durch positive Maßnahmen zu beseitigen, z.B. die Erteilung der Zustimmung zum Bau einer Rampe. Dieser Handlungspflicht sei die Vermieterin nicht nachgekommen. Im Vergleich zu anderen Mietern ohne (körperliche) Behinderung sei ihm der Zugang zur Wohnung rechtswidrig versagt worden.

Die Höhe der Entschädigung begründet das Gericht mit den gravierenden Folgen der Benachteiligung für den Kläger und dem Verhalten der Vermieterin. Aus Sicht des Gerichts handelte diese nicht problemorientiert, sondern verweigerte zwei Jahre lang hartnäckig die Zustimmung zum Bau der Rampe aus pauschalen Gründen, die nicht ansatzweise zu überzeugen vermochten. Ohne Hilfe Dritter war es dem Kläger nicht möglich, die vorhandenen sechs Treppenstufen zu überwinden und er konnte das Haus nicht spontan verlassen oder betreten. Er war dadurch in seiner Bewegungs- und Handlungsfreiheit stark eingeschränkt.

Quelle: LG Berlin II, Urteil vom 30.9.2024, 66 S 24/24, PM 32/24

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Ein Arbeitsunfall kann vorliegen, wenn eine Beschäftigte nach einem privaten Wochenendausflug auf dem Weg zu ihrer Wohnung verunglückt, weil sie dort Arbeitsschlüssel und -unterlagen vor Arbeitsantritt abholen wollte. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) heute entschieden.

Vom Wochenendausflug zur Wohnung gefahren und verunglückt
Die Klägerin fuhr am Unfalltag früh morgens nach einem privaten Wochenendausflug von dort zurück zu ihrer Wohnung, in der sich Schlüssel und Unterlagen für ihren anschließenden Arbeitseinsatz bei der Eröffnung eines Gemeindezentrums befanden. Wenige Kilometer vor ihrem Wohnort verunglückte die Klägerin mit ihrem Pkw und wurde schwer verletzt.

Arbeitsunfall oder nicht?
Die beklagte Berufsgenossenschaft und die Vorinstanzen lehnten die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Die Revision der Klägerin war erfolgreich. Die Klägerin kann sich auf einem versicherten Betriebsweg befunden haben, wenn sie den Weg zur Aufnahme von Arbeitsschlüsseln und -unterlagen in ihrer Wohnung in Umsetzung einer Weisung ihres Arbeitsgebers zurückgelegt hat. Falls keine solche Weisung feststellbar ist, kann die Klägerin auf einem versicherten Weg verunfallt sein, wenn sie mit den Arbeitsschlüsseln und -unterlagen in ihrer Wohnung verwahrtes Arbeitsgerät holen wollte, das für die Aufnahme oder Verrichtung ihrer Arbeit unentbehrlich war.

Die hierfür erforderlichen Feststellungen wird das Landessozialgericht (LSG) jetzt noch nachholen müssen.

Quelle: BSG, Urteil vom 26.9.2024, B 2 U 15/22 R, PM 27/24

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Am 1.4.24 sind das KonsumCannabisGesetz (KCanG) und das Cannabisgesetz (CanG) in Kraft getreten. Diese enthielten auch Änderungen zur Fahrerlaubnisverordnung (FEV). Betroffen waren vor allem die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Cannabiskonsum. Die Änderungen zielen darauf ab, die (neue) Rechtslage zu präzisieren und gleichzeitig auf die (Teil)Legalisierung zu reagieren. Es liegt nun eine erste Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts (OVG) zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsum nach neuem Recht vor.

Fahrlehrer konsumierte regelmäßig Cannabis
Im Fall des OVG Saarland war einem Fahrlehrer die Fahrerlaubnis wegen regelmäßigen Cannabiskonsums entzogen worden. Sein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hatte zwar beim OVG keinen Erfolg. Das OVG macht aber interessante Ausführungen zu den Auswirkungen des KCanG/CanG: Es verweist darauf, dass maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ist. Die Widerspruchsbehörde müsse ihrer Entscheidung daher ggf. das am 1.4.24 in Kraft getretene neue Recht zugrunde legen.

Neues Recht einschlägig
Mit der Neuregelung hat der Normgeber seine bisherige Annahme aufgegeben, dass mit einem regelmäßigen Konsum im Regelfall mangelnde Kraftfahreignung einhergeht. Der bisherigen Regelvermutung der Ungeeignetheit ist damit in ihrer bisherigen Ausgestaltung die Grundlage entzogen.

Abhängigkeit oder Unbedenklichkeit?
Zwar geht aus der Gesetzesbegründung nicht hervor, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene nicht hinreichend sicher zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Konsum trennt. Insoweit drängt sich auf, dass bei regelmäßigem Konsum nun die Umstände des Einzelfalls von zentraler Bedeutung sind. Nach ihnen ist zu beurteilen, ob der Tatbestand des Missbrauchs bzw. der Abhängigkeit erfüllt ist oder ein fahrerlaubnisrechtlich unbedenkliches Konsumverhalten vorliegt.

Begutachtung erforderlich
Das auf die alten Beurteilungsleitlinien gestützte Argument, bei regelmäßigem Cannabiskonsum liege im Regelfall Cannabismissbrauch vor, hat demgegenüber nach Auffassung des OVG das Potenzial, den Willen des Normgebers zu konterkarieren. Vielmehr stellt das OVG klar: Es erscheint nach Inkrafttreten der neuen fahrerlaubnisrechtlichen Regelungen zum Cannabiskonsum nicht (mehr) vertretbar, bei regelmäßigem Konsum allein gestützt auf diesen und auf die bisherige Fassung der Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung, also ohne vorherige Begutachtung, auf eine durch Cannabismissbrauch bedingte Fahrungeeignetheit zu schließen.

Quelle: OVG Saarland, Urteil vom 7.8.2024, 1 B 80/24

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Ein deutscher Staatsbürger kann seiner afghanischen Verlobten nicht per Videokonferenz das „Ja-Wort“ geben. Das stellte jetzt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg fest.

Das war geschehen
Ein Mann, der schon über 20 Jahre in Deutschland lebte und seit dem Jahr 2015 deutscher Staatsangehöriger ist, wollte seine Verlobte, eine Afghanin, im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland holen. Im Jahr 2019 schloss er mit ihr per Videokonferenz die „Ehe“, während sich die Frau und zwei Trauzeugen im Iran befanden.

Ende 2021 beantragte die Frau in der deutschen Botschaft in Teheran unter Beifügung einer afghanischen Heiratsbescheinigung ein Visum, um im Weg des Ehegattennachzugs nach Deutschland ausreisen zu können. Das lehnte die Botschaft ab.

So entschied das Oberverwaltungsgericht
Das OVG sah keine wirksame Eheschließung. Der Mann habe aus Deutschland an der Hochzeit teilgenommen. Daher liege der Ort der Eheschließung zumindest auch im Inland.

Folge: Die Ehe hätte unter physischer Präsenz der Eheschließenden vor einem Standesbeamten stattfinden müssen. Die Ehe war damit formal unwirksam.

Auch eine sog. Handschuhehe läge nicht vor. Hierbei genügt es, wenn nur einer der Ehegatten bei der Eheschließung anwesend ist. Dies sei im Fall einer Online-Trauung gerade nicht gegeben.

Quelle: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.8.2024, 6 B 1/24

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Vor Betätigung der Hebevorrichtung einer Duplex-Garage besteht keine Verpflichtung zur Kontrolle, ob Fahrzeuge ordnungsgemäß geparkt sind. So sieht es das Amtsgericht (AG) München.

Unsachgemäße Bedienung?
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schadenersatz in Höhe von 4.894,60 Euro wegen unsachgemäßer Bedienung der Hebevorrichtung einer Duplex-Garage. Der Kläger ist Halter eines Audi A6 und Nutzer der unteren Etage einer Duplex-Garage, der Beklagte ist Nutzer der oberen Etage. Am 30.6.2023 morgens gegen 9:30 Uhr bediente der Beklagte die Hebevorrichtung, um an in seinem Fahrzeug deponiertes Werkzeug zu gelangen. Beim Absenken des Parkplatzes hörte der Beklagte ein kratzendes Geräusch und fuhr den Stellplatz wieder nach oben. Nachdem der Beklagte den Kläger noch am selben Tag informiert hatte, gingen sie abends gemeinsam in die Tiefgarage. Dort bediente der Beklagte die Hebevorrichtung erneut. Hierdurch sei des Weiteren die Antenne am Dach des Fahrzeugs zertrümmert und das Dach eingedrückt worden.

Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte hafte für die Schäden an dessen PKW. Der Pkw des Klägers sei ordnungsgemäß in der Duplex-Garage abgestellt gewesen. Der Beklagte hätte nach dem Hören der Kratzgeräusche jegliche Bedienung sofort einstellen müssen. Die zweite Bedienung der Hebevorrichtung am Abend sei ohne Einverständnis des Klägers erfolgt.

Keine weiteren Schäden bei erneutem Absenken
Nach Auffassung des Beklagten habe der PKW des Klägers nicht auf den Stellplatz gepasst oder sei nicht ordnungsgemäß abgestellt worden. Als beide gemeinsam abends in der Tiefgarage waren, habe der Kläger das Fahrzeug mithilfe eines Manövers mit Handbremse und Gaspedal oben auf die Schwelle gesetzt, sodass genügend Abstand zwischen Fahrzeugheck und Fußbodenebene gegeben war. Daraufhin habe der Beklagte mit Einverständnis des Klägers den Stellplatz abgesenkt, ohne dass es zu einem weiteren Schaden gekommen wäre.

Das AG wies die Klage nach Anhörung eines Sachverständigen ab. Denn die Absenkung der Hebevorrichtung geschieht durch Drehen eines Schlüssels in der Schlüsselschaltung. Hierbei kann dem Beklagten nur ein Vorwurf gemacht werden, wenn er erkennen konnte, dass durch das Herabfahren der Hebevorrichtung das Fahrzeug des Klägers beschädigt wird, so das AG. Hierfür gab es jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Den Beklagten trifft auch keine Verpflichtung, vor Betätigung der Hebevorrichtung zu kontrollieren, ob die geparkten Fahrzeuge ordnungsgemäß geparkt sind.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: AG München, Urteil vom 11.4.2024, 223 C 19925/23, PM 28/24

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl