Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt entschieden: Der Kunde einer Partnervermittlungsagentur verliert sein Widerrufsrecht nicht dadurch, dass diese die geschuldete Anzahl von Partnervorschlägen zusammenstellt, ohne sie dem Kunden bereits überlassen zu haben, auch wenn allein dies in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen als „Hauptleistung“ bestimmt ist. Zudem ist der Wertersatzanspruch der Partnervermittlungsagentur nach dem Widerruf, von Ausnahmen abgesehen, zeitanteilig zu berechnen.

Was war geschehen?
Die Klägerin schloss in ihrer Wohnung im Verlauf des Besuchs eines Vertreters der beklagten Agentur einen Partnervermittlungsvertrag. In den Vertragsunterlagen war u. a. bestimmt, dass die Beklagte als „Hauptleistung“ 21 Partnervorschläge (Partnerdepot) zusammenstelle. Hierauf sollten 90 Prozent und auf die „Verwaltung und Aktualisierung des Partnerdepots für die Dauer der Vertragslaufzeit von zwölf Monaten“ 10 Prozent des Honorars entfallen. Außerdem unterzeichnete die über ihr Widerrufsrecht belehrte Klägerin eine Erklärung, sie wünsche ausdrücklich, dass die Beklagte mit ihrer Dienstleistung aus dem Partnervermittlungsvertrag sofort beginne; ihr sei bewusst, dass sie ihr Widerrufsrecht verliere, wenn der Vertrag seitens der Beklagten vollständig erfüllt sei.

Am folgenden Tag zahlte die Klägerin an die Beklagte das vereinbarte Honorar in Höhe von 8.330 Euro. Am selben Tag übermittelte die Beklagte der Klägerin drei Kontakte, die dieser jedoch nicht zusagten. Die Klägerin „kündigte“ daraufhin nach einer Woche den Vertrag. Die Beklagte macht geltend, das Partnerdepot erstellt und damit ihre Leistung vollständig erbracht zu haben.

Landgericht und Oberlandesgericht uneins
Das Landgericht (LG) hat die auf Rückzahlung des o. g. Betrags gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) die Beklagte hingegen zur Rückzahlung verurteilt. Von der Klageforderung seien aber 1.191 Euro abzuziehen, da die Klägerin drei der insgesamt 21 geschuldeten Partnervorschläge erhalten habe und der Beklagten daher Wertersatz in dieser Höhe schulde.

So sieht es der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die gegen ihre Verurteilung zur Rückzahlung von 7.139 Euro gerichtete Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die Klägerin kann den Großteil des an die Beklagte geleisteten Betrags zurückverlangen.

Im Fall des wirksamen Widerrufs eines Verbrauchervertrags sind die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Die Parteien hatten einen widerruflichen Verbrauchervertrag außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen. Der von der Klägerin erklärte Widerruf war wirksam.

Das Widerrufsrecht der Klägerin war nicht ausgeschlossen, weil die Beklagte zum Zeitpunkt der Widerrufserklärung ihre Dienstleistung noch nicht vollständig erbracht hatte. Dies hätte erfordert, dass sie jedenfalls ihre Hauptleistungspflicht vollständig erfüllt hätte. Für die Auslegung, welche Pflichten Hauptleistungspflichten sind, ist entscheidend, worauf es der einen oder der anderen Partei in hohem Grad ankam, also was sie unter allen Umständen erlangen wollte.

Hier hatte die Beklagte ihre Leistung nicht vollständig erbracht. Die Erstellung des Partnerdepots war nicht (ausschließliche) Hauptleistungspflicht der Beklagten. Vielmehr ist für den Kunden der Beklagten allein die Zusendung der ausführlichen Partnervorschläge mit Namen und Kontaktdaten von Bedeutung. Diese Leistung hatte die Beklagte zum Zeitpunkt des Widerrufs nur zu einem geringen Teil erbracht. Darüber hinaus ist der Kunde auch darauf angewiesen, dass die Partnervorschläge zu dem Zeitpunkt, zu dem er sie zu einer Kontaktanbahnung nutzt, noch aktuell und bis dahin gegebenenfalls ergänzt und aktualisiert worden sind.

Für ein anderes Verständnis kann sich die Beklagte nicht auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen, nach denen die „Hauptleistung“ (allein) in der Erstellung eines 21 Partnervorschläge umfassenden Partnerdepots liegt. Diese Bestimmung ist unwirksam. Durch Allgemeine Geschäftsbedingungen kann der Vertragsgegenstand nicht verändert werden.

Europäisches Recht
Nach einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 8.10.2020 ist auf den im Vertrag vereinbarten Preis für die Gesamtheit der vertragsgegenständlichen Leistungen abzustellen und der geschuldete Betrag zeitanteilig zu berechnen. Daraus ergibt sich hier kein Anspruch der Beklagten, der 1.191 EUR übersteigt. Eine Ausnahme von einer zeitanteiligen Berechnung gilt nur, wenn der geschlossene Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden; ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.

Quelle: BGH, Urteil vom 6.5.2021, III ZR 169/20, PM Nr. 92/21

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Das Amtsgericht (AG) Frankenthal hat jetzt entschieden: Die elterliche Sorge kann gegen den ausdrücklich erklärten Willen eines 13-jährigen Kindes aufrechtzuerhalten sein, wenn eine ausreichende Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern im Übrigen gegeben ist.

Was war geschehen?
Die Beteiligten sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eines 13-jährigen Kindes. Zwischen dem Kind und dem Antragsgegner bestand seit geraumer Zeit kein Kontakt mehr; jedenfalls seit ungefähr zwei Jahren ist der Kontakt gänzlich abgebrochen. Die Eltern kommunizieren ebenfalls kaum miteinander, die Mutter hat die wesentlichen Entscheidungen für das bei ihr wohnende Kind in der Vergangenheit alleine getroffen. Die Kommunikation beschränkte sich im genannten Zeitraum auf Whatsapp-Chats. Der Vater zahlt für das Kind Kindesunterhalt. Die Mutter beantragte die Übertragung der alleinigen Sorge auf sich. Zum einen entspreche dies dem Wunsch des Kindes, zum anderen sei der Antragsgegner an dem Kind nicht interessiert und übe daher die elterliche Sorge faktisch nicht aus. Der Vater hat sich dem Antrag widersetzt. Er hat anerkannt, dass er sich zuletzt wenig um das Kind gekümmert hat, möchte aber an der elterlichen Sorge festhalten.

Das sagt das Amtsgericht
Das AG hat den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge zurückgewiesen. Grundsätzlich gilt: Jeder Elternteil kann, wenn Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben und ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge alleine überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Doch was, wenn einem Elternteil Gleichgültigkeit vorgeworfen wird? Dies kann nur Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung der elterlichen Sorge werden, wenn der betreffende Elternteil sich überhaupt nicht um das Kind kümmert. Mangelndes Engagement muss aber nicht zur alleinigen Sorge führen, wenn die Eltern sonst zusammenarbeiten können und das gebotene Maß an Gemeinsamkeiten und wenigstens ein gewisses Interesse für das Kind vorhanden ist. Ein Elternteil kann für die Entwicklung des Kindes zurücktreten und damit weniger wichtig bleiben, während der andere für die tägliche Erziehungsarbeit zuständig ist, ohne dass sich weitere Auswirkungen für die Entwicklung des Kindes ergeben. Oft haben sich die Eltern für dieses Modell schon vor der Trennung entschieden – dann treten ohnehin keine Änderungen ein.

Zurückhaltung ist nicht immer Verantwortungslosigkeit
Motivlage und tatsächliche Hintergründe entziehen sich einer Bewertung von außen fast zwingend. Erkennbare Zurückhaltung ist kein Zeichen von Verantwortungslosigkeit. Verzicht für sich kann wohlbedacht sein, auch um gerade das Kind belastenden Streit zu vermeiden. Maßstab ist wie immer das Wohl des Kindes.

Zeigt ein Elternteil aber nachhaltig kein Interesse an der Entwicklung des Kindes und pflegt keinerlei Kontakt zum Kind, sondern überlässt dem anderen Elternteil die Sorge mit allen Entscheidungen alleine, dann stellt sich berechtigt die Frage, welche gemeinsame Sorge hier noch ausgeübt wird, sodass auf Antrag die Sorge auf den diese tatsächlich ausübenden Elternteil ggf. zu übertragen ist.

Kooperationsbereitschaft war vorhanden
Vor diesem Maßstab sei die gemeinsame elterliche Sorge im vorliegenden Fall nicht aufzuheben. Zwar sei der Antragstellerin zuzugestehen, dass sich die Kommunikation auf ein Mindestmaß beschränke. Allerdings hätten sich auch keine Umstände ergeben, zu denen etwa der Antragsgegner für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht zur Verfügung gestanden hätte. Eine gewisse aktive Grundverantwortung übe der Antragsgegner zudem dadurch aus, dass er den Kindesunterhalt regelmäßig bezahle. Schließlich ergebe sich aus den vorgelegten Chatverlaufsprotokollen, dass der Antragsgegner grundsätzlich an dem Kind Interesse gezeigt habe. Vor diesem Hintergrund könne von einer gänzlichen Gleichgültigkeit nicht ausgegangen werden, wenngleich die Tatsache, dass sich der Antragsgegner etwa zu den letzten Geburtstagen des Kindes nicht gemeldet habe, nachvollziehbar den Anschein einer Interessenlosigkeit erweckte.

Weiter sei zu berücksichtigen, dass sich keine zu entscheidenden Konflikte der Eltern in wesentlichen Belangen abzeichneten, der Vater sich in jeder Hinsicht kooperationsbereit erklärt habe und Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung, die das Einvernehmen beider Eltern voraussetzen würden, nicht bevorstünden. In der Vergangenheit hätten die Eltern eine kindeswohldienliche Entscheidung praktizieren können.

Kindeswohl entscheidend
Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge sei auch vor dem Hintergrund geboten, dass sich das Kind in der persönlichen Anhörung ausdrücklich für die Alleinsorge der Mutter ausgesprochen habe. Zwar sei der Wunsch des nun 13-jährigen Kindes grundsätzlich anzuerkennen. Indes komme ihm nicht die alleinige oder entscheidende Bedeutung zu. Denn es sei im Rahmen der persönlichen Anhörung offenbar geworden, dass das Kind aufgrund der Erfahrungen der letzten beiden Jahre von dem Antragsgegner enttäuscht sei, diesen indes jedoch nicht gänzlich und dauerhaft ausschließen möchte. Eine Auseinandersetzung mit dem Vater und der Vater-Sohn-Beziehung entspreche auch entwicklungspsychologisch der weiteren persönlichen Entwicklung des Kindes am besten, sodass das Gericht die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge auch vor diesem Hintergrund als kindeswohldienlicher ansehe.

Quelle: AG Frankenthal, Urteil vom 1.6.2021, 71 F 108/21, PM vom 17.6.2021

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Das Anbringen eines Katzennetzes am Balkon der Mietwohnung zählt zum vertragsgemäßen, genehmigungsfreien Gebrauch der Wohnung. Das gilt nach dem Amtsgericht (AG) Berlin-Tempelhof-Kreuzberg jedenfalls, wenn das Netz ohne Eingriff in die Substanz des Hauses montiert und so die Fassade kaum optisch beeinträchtigt wird.

Der Mieter durfte laut Wohnraummietvertrag eine Katze halten. Der Vermieter verweigerte aber seine Zustimmung zum Anbringen eines Katzennetzes am Balkon, das die Katze vor Stürzen schützen sollte. Der Mieter meinte, dies sei nicht gerechtfertigt, da der Vermieter Katzennetze an elf anderen Balkonen des Hauses, deren Wohnungen ihm ebenfalls gehören, bereits seit Längerem dulde. Der Vermieter beruft sich auf den Mietvertrag, wonach seine vorherige schriftliche Zustimmung für Anbauten und Installationen erforderlich ist.

Das AG sieht einen Anspruch des Mieters als gegeben an. Die Katzenhaltung in der Wohnung sei durch den Mietvertrag gestattet und zähle daher zum bestimmungsgemäßen Gebrauch. Auch das Anbringen eines Netzes, mit dem es der Katze ermöglicht wird, an die frische Luft zu gelangen, ohne die Nachbarn zu stören oder Singvögel zu jagen, zähle zu diesem genehmigten Gebrauch. Die im Vertrag geregelte vorherige schriftliche Zustimmung des Vermieters für Anbauten sowie Installationen stehe dem nicht entgegen. Da das Netz unstreitig ohne Eingriff in die Substanz des Hauses montiert werden soll und unstreitig an weiteren elf Balkonen Netze vorhanden seien, sei keine erhebliche optische Beeinträchtigung und auch keine zustimmungspflichtige bauliche Veränderung gegeben.

Das Argument, dass die anderen Netze ohne Zustimmung des Vermieters angebaut worden seien, deswegen beseitigt werden müssten und daher auch der Mieterin das Anbringen nicht gestattet werden müsse, greife nicht durch, da der Vermieter über einen längeren Zeitraum die Netze an den anderen Balkonen geduldet und damit sein Ermessen dahingehend ausgeübt habe, dass die Katzennetze zum bestimmungsgemäßen Gebrauch der Mietsache zählen. Auch sei zu beachten, dass das Betreten des Balkons der artgerechten Haltung einer Katze zumindest näherkomme als das ausschließliche Halten in der Wohnung.

Quelle: AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg, Urteil vom 24.9.2020, 18 C 336/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Der Arbeitgeber trägt das Betriebsrisiko. Das sind Ursachen, die von außen auf den Betrieb einwirken und die Fortführung des Betriebs verhindern. Nach der bisherigen Rechtsprechung erfasst dies auch Fälle höherer Gewalt, z.B. Naturkatastrophen, Erdbeben, Überschwemmungen oder extreme Witterungsverhältnisse. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hat nun bestätigt: Um ein solches Ereignis handelt es sich bei der aktuellen Corona-Pandemie.

Die Klägerin war seit dem 1.4.2016 bis zum 30.4.2020 bei der Beklagten, die eine Spielhalle betreibt, als Spielstättenmitarbeiterin zu einem Stundenlohn von 9,35 Euro brutto beschäftigt. Pandemiebedingt war die Beklagte zunächst aufgrund behördlicher Allgemeinverfügung gezwungen, ihren Betrieb ab dem 16.3.2020 zu schließen. Kurze Zeit später untersagte die Coronaschutzverordnung NRW (CoronaSchVO) vom 22.3.2020 den Betrieb von Spielhallen. Bei Aufrechterhaltung des Betriebs hätte die Klägerin nach Maßgabe des Dienstplans im Monat April 2020 insgesamt 62 Stunden gearbeitet. Da das Arbeitsverhältnis der Klägerin aufgrund ihres Eintritts in den Ruhestand am 1.5.2020 endete, bezog sie kein Kurzarbeitergeld. Die Beklagte hatte für den Zeitraum März und April 2020 staatliche Ausgleichszahlungen in Höhe von insgesamt 15.000 Euro erhalten.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage u.a. Annahmeverzugslohn für 62 ausgefallene Arbeitsstunden im Monat April 2020. Sie hat gemeint, dass die Arbeitgeberin auch in der Pandemie das Betriebsrisiko trage. Die Beklagte hingegen vertritt die Auffassung, dass der Lohnausfall zum allgemeinen Lebensrisiko der Klägerin gehöre, weil ihr selbst als Arbeitgeberin aufgrund der behördlich angeordneten bzw. veranlassten Betriebsschließung die Annahme der Arbeitskraft der Klägerin nicht möglich war.

Das LAG Düsseldorf hat ebenso wie das Arbeitsgericht (ArbG) Wuppertal der Klägerin die Vergütung für die ausgefallenen 62 Arbeitsstunden zugesprochen. Grund: Die Beklagte befand sich im Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung der Klägerin. Dass die durch die CoronaSchVO bedingte staatliche Schließung das Betriebsrisiko zulasten der Spielhalle verwirklichte, ändert daran nichts. Auch eine durch eine Pandemie begründete Betriebsschließung zählt zum Betriebsrisiko. Es ist mangels klarer Abgrenzbarkeit nicht darauf abzustellen, ob diese Schließung eine gesamte Branche, die zunächst als solche abzugrenzen wäre, oder nur einzelne Betriebe dieser Branche, ggf. bundesweit, nur in einzelnen Ländern oder aber örtlich begrenzt erfasst. Deshalb kann nicht auf die Reichweite des behördlichen Verbots abgestellt werden. Ein Fall, in dem die Klägerin ihre Arbeitskraft überhaupt nicht mehr verwerten konnte, was ggf. zu deren allgemeinem Lebensrisiko gehört, war nicht gegeben.

Das LAG hat die Revision zugelassen.

Quelle: LAG Düsseldorf, Urteil vom 30.3.2021, 8 Sa 674/20, PM Nr. 09/21

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Wird ein Architekt oder Ingenieur mit der Bestandsaufnahme eines aus Grund und aufstehender Altbebauung bestehenden Grundstücks beauftragt, um dem Auftraggeber eine Entscheidungsgrundlage für den Grundstückserwerb zu schaffen, stellt das Gutachten keine Werk-, sondern eine Dienstleistung dar. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. im Einvernehmen mit dem Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt.

Entscheidend ist: Ansprüche wegen Mängeln in einem solchen Gutachten verjähren danach nicht erst in fünf, sondern schon in zwei Jahren ab Abnahme. Anders sähe es aus, wenn die Bestandsaufnahme in Bezug zu einem konkret zu errichtenden Bauwerk steht. Das wäre etwa der Fall, wenn die Bestandsaufnahme z. B. als besondere Leistung im Rahmen eines Planungsauftrags der Leistungsphasen 1 bis 8 beauftragt ist, der die Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in Wohneinheiten umfasst. Dann gehört die Bestandsaufnahme zur Werkleistung des Büros und es gilt die fünfjährige Gewährleistungsfrist.

Quelle: OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 28.2.2020, 24 U 36/19, rechtskräftig durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde; BGH, Beschluss vom 4.11.2020, VII ZR 54/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Flieht ein Verkehrsteilnehmer mit seinem Pkw vor einem Streifenwagen, um einer Polizeikontrolle zu entgehen, kann dies den Tatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens erfüllen. So sieht es das Landgericht (LG) Osnabrück.

Sachverhalt
Angeklagt war ein zur Tatzeit 20 Jahre alter Mann. Er fiel einer Polizeistreife durch seine Fahrweise auf. Der Angeklagte hatte jedoch nach eigenen Angaben mit einem Freund gewettet, dass er sich nicht erneut von der Polizei anhalten lassen würde, nachdem er schon einige Tage zuvor kontrolliert worden war. Der Angeklagte fuhr deshalb mit hoher Geschwindigkeit durch den Ort davon. Obwohl der Streifenwagen bis auf 130 km/h beschleunigte und Anhaltesignale gab, mussten die Beamten schließlich die Verfolgung abbrechen, um keine unbeteiligten Dritten zu gefährden. Kurze Zeit darauf konnten die Beamten jedoch das Fahrzeug und damit auch den Angeklagten ausfindig machen und ihn zur Rede stellen.

Verbotenes Kraftfahrzeugrennen und Straßenverkehrsgefährdung
Die Staatsanwaltschaft erhob aufgrund seiner Flucht Anklage gegen den jungen Mann zum Amtsgericht (AG) Meppen. Dieses sprach den Angeklagten im Sommer 2020 des verbotenen Kraftfahrzeugrennens und der Straßenverkehrsgefährdung schuldig. Es erlegte ihm unter Anwendung von Jugendrecht eine Geldauflage von 1.000 EUR auf und verpflichtete ihn, an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen. Zudem entzog es ihm die Fahrerlaubnis und verfügte eine Sperrfrist von einem Jahr für die Wiedererteilung. Das AG wandte insoweit Jugendrecht an, da sein Verhalten offenkundig Ausdruck jugendlicher Unreife sei.

Das LG bestätigte nun auf die Berufung des Angeklagten diese Entscheidung hinsichtlich der Teilnahme an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen. Es ging damit über die Wertung der Staatsanwaltschaft in der Anklage und des AG in seinem Urteil hinaus. Beide hatten kein tatsächliches Rennen angenommen, sondern die Flucht des Angeklagten rechtlich als verkehrswidrige und rücksichtlose Fortbewegung, also ein quasi „simuliertes Rennen“ ohne zweiten Teilnehmer eingeordnet.

Flucht als Ziel
Das LG erläuterte dazu, die Einordnung der Polizeiflucht als nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen sei insgesamt bisher kaum diskutiert worden. Es sei aber anerkannt, dass auch die Polizeiflucht vergleichbar einem klassischen Rennen ein Wettbewerbselement aufweise, hier mit dem „Ziel“ der erfolgreichen Flucht. Die Polizeiflucht berge daher dieselben Risiken wie ein verabredetes oder spontanes Rennen mehrerer Kfz aus falsch verstandenem „sportlichem Ehrgeiz“. Es entspreche deshalb dem gesetzgeberischen Willen und auch dem Wortlaut des Gesetzes, die Polizeiflucht als nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen einzuordnen.

Dabei liege ein tatsächliches Rennen vor, weil mit dem Polizeifahrzeug ein zweiter Pkw beteiligt gewesen sei. Für ein verbotenes Rennen sei nicht erforderlich, dass alle Teilnehmer rechtswidrig handelten. Eine solche Einschränkung ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch dem Zweck des Gesetzes. Daher spiele es keine Rolle, dass die Polizei zur Verfolgung und zur Nichteinhaltung der allgemeinen Verkehrsregeln bei der Verfolgung des Flüchtenden berechtigt gewesen sei. Die Beteiligung der Polizei habe der Angeklagte auch als erwartbare Reaktion auf sein rechtswidriges Handeln jedenfalls billigend in Kauf genommen.

Erneute Beweisaufnahme
Anders als das AG vermochte die Kammer nach erneuter Beweisaufnahme allerdings keine konkrete Straßenverkehrsgefährdung durch den Angeklagten bei seiner Flucht festzustellen. Insbesondere konnte keine unmittelbare Gefährdung von Fußgängern festgestellt werden. Weil der Angeklagte zudem zwischenzeitlich arbeitslos geworden war, sanktionierte die Kammer die Tat des Angeklagten statt mit einer Geldauflage – wie noch das AG – nun mit 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit.

Das LG hielt aber an der Entziehung der Fahrerlaubnis fest. Dabei wurde die Sperrfrist bis zu einer möglichen Wiedererteilung im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Zeitablauf auf noch drei Monate reduziert.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: LG Osnabrück, Urteil vom 1.3.2021, 13 Ns 16/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Lebensmittelrechtliche Kontrollberichte dürfen nach mehreren Eilentscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin auf Antrag an Verbraucherinnen und Verbraucher herausgegeben werden.

Sachverhalt
Die Antragsteller sind Restaurantbetreiber, die sich gegen die Herausgabe von Informationen wehren. Mehrere Verbraucher erfragten über eine Onlineplattform bei Berliner Bezirksämtern, wann in den Restaurants der Antragsteller jeweils die letzten beiden lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen stattgefunden hätten und beantragten, falls es hierbei zu Beanstandungen gekommen sei, die entsprechenden Kontrollberichte herauszugeben. Die Bezirksämter gaben dem Informationsersuchen der Beigeladenen nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) statt. Hiergegen wandten sich die Antragsteller u.a. mit der Begründung, die Verbraucher beabsichtigten, die Informationen im Internet zu veröffentlichen.

Verwaltungsgericht bestätigt Auskunftsanspruch
Das VG hat die Eilanträge zurückgewiesen. Nach der im Eilverfahren nur summarischen Prüfung erweise sich die Herausgabe von Informationen an Verbraucher über lebensmittelrechtliche Betriebskontrollen, bei denen Beanstandungen festgestellt worden seien, als rechtmäßig. Die Anfragenden hätten nach Maßgabe des VIG Anspruch auf freien Zugang zu den dort näher bezeichneten Informationen. Dazu gehörten auch die behördlichen Kontrollberichte, soweit diese Daten über nicht zulässige Abweichungen von bestimmten (lebensmittel-)rechtlichen Anforderungen enthielten.

Keine Ausschlussgründe
Der Auskunftsanspruch scheitere auch nicht an der fehlenden Aktualität der Kontrollberichte, weil das VIG insoweit eine Grenze erst bei mehr als fünf Jahre zurückliegenden Vorgängen ziehe. Ausschlussgründe für die Herausgabe der Kontrollberichte ergäben sich ferner nicht aus dem Schutz personenbezogener Daten oder dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Antragsteller.

Verbraucherschutz geht vor
Die aus der Weitergabe der Informationen resultierenden Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragsteller (Recht auf informationelle Selbstbestimmung) seien durch legitime Zwecke des Verbraucherschutzes gerechtfertigt. Zur Erreichung dieser Zwecke sei die Informationsgewährung geeignet, erforderlich und selbst dann nicht als unverhältnismäßig anzusehen, wenn mit einer Veröffentlichung der Informationen im Internet gerechnet werden müsse. Die kampagnenartige Weiterverbreitung solcher Informationen sei vielmehr im VIG angelegt und nicht missbräuchlich. Etwaige Ansprüche der Antragsteller auf Ergänzung oder spätere Löschung veröffentlichter Informationen seien im Zivilrechtsweg zu verfolgen.

Gegen die Beschlüsse kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg erhoben werden.

Quelle: VG Berlin, Beschlüsse vom 11.3.2021, VG 14 L 600/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Hält ein Erbe den Nachlass für überschuldet, kann er die Erbschaft ausschlagen. Doch dabei ist Vorsicht geboten, wie ein aktueller Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf zeigt. Hier hatte der Erbe allerdings Glück. Der Erbe war vor allem aufgrund des verwahrlosten Zustands der Wohnung des Erblassers davon ausgegangen, dass dessen Nachlass überschuldet ist. Das aber war ein Irrtum, den das OLG Düsseldorf beachtlich fand.

Sachverhalt
Was war geschehen? Die Polizei hatte den Erblasser tot in seiner völlig vermüllten und verdreckten Wohnung aufgefunden. Nachdem schließlich ein Erbe ermittelt und von der Polizei über den Zustand der Wohnung sowie den Umstand informiert worden war, dass umherliegende Rechnungen und Mahnungen auf erhebliche Nachlassverbindlichkeiten hindeuten würden und sich werthaltige Gegenstände nicht in der Wohnung befänden, hat der Erbe davon abgesehen, sich um die Wohnung zu kümmern.

Nachlassgericht zeigt sich unnachgiebig
Anschließend hat er Kontakt mit dem Nachlassgericht aufgenommen und mit der zuständigen Rechtspflegerin über die Frage der Annahme der Erbschaft bzw. der Ausschlagung gesprochen. Das Nachlassgericht hatte ihn darüber informiert, dass die Bestattung des Erblassers mit öffentlichen Mitteln bezahlt worden sei. Daraufhin hatte der Erbe die Erbschaft schließlich ausgeschlagen.

Später stellte sich heraus, dass der Nachlass ein erhebliches Vermögen umfasst. Der Erbe erklärte nun die Anfechtung der Ausschlagung und beantragte einen Erbschein. Das Nachlassgericht wies diesen Antrag aufgrund der Ausschlagung zurück. Eine dagegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg und wurde dem OLG vorgelegt.

Oberlandesgericht sieht Anfechtungsgrund
Das OLG gab dem Erben jedoch Recht. Er habe seine Ausschlagungserklärung wirksam angefochten. Entgegen dem Nachlassgericht liege ein Anfechtungsgrund in der Form eines sog. Eigenschaftsirrtums vor. Er sei aufgrund der von ihm in Erfahrung gebrachten Umstände und der aus seiner Sicht abschließend erfolgten Klärung der Vermögensverhältnisse ohne Anhaltspunkte für weitere taugliche Informationsquellen zu der Vorstellung gelangt, dass sich im Nachlass ausschließlich Verbindlichkeiten des Erblassers befinden. Damit hat er sich bei der Erklärung der Erbausschlagung nicht lediglich von einer Befürchtung leiten lassen, sondern von seiner Überzeugung einer bestehenden Überschuldung.

Verfahrenspfleger erforderlich
Das OLG hat die Sache an das Ausgangsgericht zurückverwiesen, da hier die Hinzuziehung eines zu beteiligenden Verfahrenspflegers fehlerhaft unterblieben ist.

Quelle: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.11.2020, I-3 Wx 166/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Ein Arbeitnehmer hatte im Anschluss an ein Personalgespräch, in dem der Arbeitgeber den Wunsch äußerte, sich von ihm trennen zu wollen, vom Unternehmensserver Daten in erheblichem Umfang gelöscht, nachdem er sich von einer Mitarbeiterin mit den Worten „man sieht sich immer zweimal im Leben“ verabschiedet hatte. Dies rechtfertigt die außerordentlich fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Das sagt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg.

Ein Arbeitsverhältnis kann vom Arbeitgeber aus wichtigem Grund ohne Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer es ihm unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Entscheidend ist die objektive Rechtslage im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Der Kündigungsgrund muss sich in Zukunft nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken (Prognoseprinzip). Die Prüfung des wichtigen Grundes erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in zwei Stufen.

Stufe 1: Wichtiger Grund
Zunächst ist zu prüfen, ob ein Grund vorliegt, der an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Stufe 2: Interessenabwägung
Dann ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, die alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, und aus der sich das Überwiegen der Interessen des Kündigenden ergeben muss.

Beachten Sie: Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind.

Wichtiger Grund lag vor
Das unbefugte, vorsätzliche Löschen betrieblicher Daten auf EDV-Anlagen des Arbeitgebers sah das LAG ebenso wie das Vernichten von Verwaltungsvorgängen als wichtigen Grund in o. g. Sinne an. Dabei komme es nicht maßgeblich darauf an, ob sich der Arbeitnehmer durch das Löschen von Daten strafbar gemacht hat, und auch nicht darauf, ob und mit welchem Aufwand ein Teil dieser gelöschten Daten wieder hergestellt werden konnte oder darauf, ob und in welchem Umfang der Arbeitgeber für den weiteren Geschäftsablauf diese Daten tatsächlich benötigt. Das völlig pauschale Vorbringen des Arbeitnehmers, er habe nur „aufgeräumt“ und Dateien gelöscht, die nicht relevant bzw. ohnehin an anderen Speicherorten bereits vorhanden seien, bewertete das LAG als unbeachtlich.

Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers
Die Interessenabwägung ließ das LAG eindeutig zugunsten des Arbeitgebers ausfallen. Besonders schwer fiel dabei ins Gewicht, dass der Arbeitnehmer die über 3.300 Dateien mit einem Umfang von 7,48 Gigabyte nicht versehentlich gelöscht, sondern dies ganz bewusst, also vorsätzlich getan hatte, nachdem die Beklagte ihm mitgeteilt hatte, das Arbeitsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags beenden zu wollen. Auch angesichts dieses Verhaltens sei zu befürchten, dass der Kläger in anderen möglichen Konfliktsituationen in ähnlicher Weise reagieren wird.

Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.9.2020, 17 Sa 8/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Betriebsbeschreibungen als Anlage zum Planungsvertrag in allgemeiner textlicher Beschreibung sind bedeutender als bislang angenommen. Das zeigt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm. Es hat eine Betriebsbeschreibung vertragsrechtlich als Beschaffenheitsvereinbarung gewertet. Die Folge: Ihre Nichteinhaltung hat das OLG als einen Planungsfehler gewertet.

Im Fall des OLG war in der Betriebsbeschreibung vereinbart worden, dass behindertengerechte, barrierefreie Wohnungen und Zugänge geplant werden sollten. Am Ende waren aber nicht alle Wohnungen barrierefrei erreichbar. Das OLG unterstellte einen Planungsfehler, weil die Anforderungen aus der Betriebsbeschreibung nicht durchgehend erfüllt waren. Selbst, wenn die Anforderungen textlich nur allgemein gehalten worden seien, handele es sich doch um eine Beschaffenheitsvereinbarung, die einzuhalten sei.

Beachten Sie Die Folge für Planungsbüros: Bei allgemein gehaltenen textlichen Beschaffenheitsvereinbarungen bilden nicht das subjektive Verständnis, sondern die rechtlichen und technischen Normen den alleinigen Maßstab.

Quelle: OLG Hamm, Urteil vom 28.1.2021, 21 U 54/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl