Paukenschlag zum neuen Vergaberecht vom OLG München: Bei einem Verwaltungsgebäude eines Wasserversorgers bilden Objekt-, Tragwerks- und TGA-Planung eine funktionale, wirtschaftliche und technische Einheit. Das hat zur Folge, dass die Honorare für diese Planungsleistungen bei der Schwellenwertberechnung addiert werden müssen.

Im Zuge der Erarbeitung des neuen Vergaberechts (VGV) wurde besonders intensiv über die Schätzung des Auftragswerts nach § 3 VgV diskutiert. Zunächst war es so, dass bei einem Bauvorhaben, für das verschiedene freiberufliche Leistungen beauftragt werden sollen, die Auftragswerte der jeweiligen Leistungen entsprechend einer losweisen Betrachtung addiert werden sollten. Diese funktionale Betrachtungsweise, die die Rechtsprechung des EuGH umgesetzt hätte, hätte dazu geführt, dass auch kleinteiligere Leistungen EU-weit hätten ausgeschrieben werden müssen. Diese Regelung war von Berufs- und Spitzenverbänden hart kritisiert worden. Der Verordnungsgeber hatte es deshalb bei der alten Fassung belassen. Und die hat das OLG München jetzt kassiert.

Die Entscheidung des OLG München provoziert nicht nur Nachprüfungsverfahren nicht berücksichtigter Bieter. Sie ist auch für solche Auftraggeber gefährlich, die für das Projekt Fördermittel gewährt bekommen haben. Stellt irgendjemand fest, dass der Auftrag hätte EU-weit ausgeschrieben werden müssen, droht eine (Teil-)Zurückforderung gewährter Zuwendungen.

Quelle: OLG München, Beschluss vom 13.3.2017, Verg 15/16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Ein Blinder kann mit einem Langstock nur unzureichend versorgt sein, wenn die Orientierung durch Schwerhörigkeit zusätzlich beeinträchtigt wird.

Diese Klarstellung traf das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) im Fall eines  50-jährigen Mannes, der bis auf ein minimales einseitiges Restsehvermögen erblindet war. In jüngerer Zeit kam eine Schwerhörigkeit hinzu. Zur Orientierung außerhalb der Wohnung nahm er bisher die Hilfe seiner Frau in Anspruch. Als er bei seiner Krankenkasse einen Blindenhund beantragte, verwies diese ihn zunächst auf einen Blindenlangstock nebst Mobilitätstraining. Dem hielt der Kläger entgegen, dass ein Blindenhund ihm eine viel bessere Hilfe bieten könne.

Das LSG hat die Krankenkasse verurteilt, den Blindenhund zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch wirtschaftlich angemessen sein müssen. Dabei hat es zugleich betont, dass es nicht auf die generellen Vorteile eines Blindenführhundes im Vergleich mit einem Blindenlangstock ankomme. Es sei vielmehr die konkrete Versorgungsnotwendigkeit im Einzelfall zu prüfen, die nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen sei.

Das Gericht hat daher zunächst die Ergebnisse des Orientierungs- und Mobilitätstrainings mit dem Langstock abgewartet und auf dieser Grundlage ein ärztliches Gutachten eingeholt. Dieses hat aufgezeigt, dass die Orientierungsfähigkeit des Klägers durch die Kombination von Blindheit und Schwerhörigkeit erheblich erschwert ist. Während Beeinträchtigungen eines einzelnen Sinnesorgans noch durch andere Organe kompensiert werden können, kann dies bei Doppelbehinderungen im Einzelfall nicht mehr möglich sein. Hiergegen konnte die Krankenkasse auch nicht erfolgreich einwenden, dass der Kläger inzwischen mit Hörgeräten versorgt wurde und Fortschritte im Mobilitätstraining erzielt hat, da dies über die Defizite nicht ausreichend hinweghelfen konnte.

Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29.8.2017, L 16/4 KR 65/12

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Auch wenn das beschädigte Fahrzeug noch fahrfähig und verkehrssicher ist, muss der Geschädigte nicht zum Schadengutachter fahren. Er darf, weil das üblich ist, das Fahrzeug in der Werkstatt begutachten lassen.

So sieht es das Amtsgericht Landshut. Hierfür spreche, dass Schadengutachter oft nicht die notwendige Ausrüstung hätten, insbesondere keine Hebebühne. Der Geschädigte sei auch nicht verpflichtet, zuvor den Markt zu erkunden, welcher Schadengutachter ausreichend ausgerüstet ist. Der Geschädigte verstößt somit nicht gegen seine Schadenminderungspflicht, nur weil Fahrtkosten des Gutachters angefallen sind. Aber: Er muss einen ortsnahen Sachverständigen auswählen.

Quelle: Amtsgericht Landshut, Urteil vom 10.10.2017, 4 C 1245/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Auch Großeltern können Kindergeld bekommen. Nämlich dann, wenn sie Enkel überwiegend in ihrem Haushalt versorgen und betreuen. Das ist gesichertes Recht. Neu ist, dass ein Kindergeldanspruch auch bestehen kann, wenn der Enkel aus dem Haushalt der Großeltern schon ausgezogen ist.

Die Einzelheiten dazu stehen in einer Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz. Im konkreten Fall hatten Tochter und Kind noch bei den Eltern gelebt. Die Tochter studierte. Also kümmerten sich vorrangig die Großeltern um die Enkelin – und beantragten auch einvernehmlich das Kindergeld. Als Tochter und Enkelin ausgezogen waren, zahlte die Familienkasse kein Kindergeld mehr. Die Großeltern klagten. Sie argumentierten, dass die Enkelin weiterhin überwiegend in ihrem Haushalt versorgt und betreut wurde. Sie konnten nachweisen, dass sich die Enkelin an mehreren Tagen der Woche in ihrem Haushalt befand und dort in einem eigenen Zimmer übernachtete.

Hinweis: Großeltern, die für Enkelkinder einen Kindergeldanspruch durchsetzen wollen, sollten eine Art Tagebuch führen. Darin sollte stehen, an welchen Tagen sich das Enkelkind wie lange im Haushalt aufgehalten hat. Nur mit diesen Aufzeichnungen und entsprechenden Zeugenaussagen der Eltern können Großeltern den Kindergeldanspruch problemlos durchsetzen.

Quelle: FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.8.2017, 4 K 2296/15

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Das LAG Hamm hat entschieden, dass ein Arbeitgeber Freizeitausgleich zum Abbau von „Plusstunden“ auf einem Arbeitszeitkonto anordnen kann, wenn sich seine Weisung dabei in den Grenzen der Billigkeit bewegt.

Das LAG formulierte es in seinem Leitsatz wie folgt: „Die Gewährung von Freizeitausgleich zum Abbau von „Plusstunden“ auf das Arbeitszeitkonto erfolgt im Wege des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts in den Grenzen der Billigkeit gem. § 106 Satz 1 GewO , ohne besondere Abreden ist die Zustimmung des Arbeitnehmers nicht erforderlich.“

Quelle: LAG Hamm, Urteil vom 18.5.17, 18 Sa 1143/16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Der Vermieter kann dem Mieter bei Zahlungsverzug fristlos kündigen. Kündigt er gleichzeitig vorsorglich fristgemäß, ist diese hilfsweise erklärte Kündigung unwirksam, da mit Zugang der fristlosen Kündigung der Mietvertrag sofort beendet wird.

So entschied es das Landgericht (LG) Berlin. Diese Differenzierung ist nach Ansicht der Richter von Bedeutung, wenn der Mieter innerhalb der gesetzlichen Frist den offenen Betrag nachzahlt. Nach dem Gesetz wird die fristlose Kündigung dadurch unwirksam. Nach der Auffassung des LG bleibt es in diesem Fall dem Vermieter verwehrt, sich auf die zugleich hilfsweise erklärte fristgemäße Kündigung zu berufen. Das LG hat daher im zugrunde liegenden Fall die Klage der Vermieter auf Räumung der Wohnung gegen den Hauptmieter abgewiesen.

Das LG Berlin argumentierte damit, dass zum Zeitpunkt, als die fristlose Kündigung des Vermieters zuging, der Mietvertrag unmittelbar beendet worden sei. Die zugleich hilfsweise erklärte Kündigung mit ordentlicher Frist gehe ins Leere. Die Kündigungswirkungen der fristlosen Kündigung seien zwar später durch die Nachzahlung des offenen Betrags entfallen, die fristlose Kündigungserklärung bleibe aber bestehen. Damit bleibe die hilfsweise erklärte fristgemäße Kündigung unwirksam und könne nicht wieder „aufleben“.

Quelle: LG Berlin, Urteil vom 13.10.2017, 66 S 90/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Wer während seiner Arbeitszeit auf dem Dienstcomputer ein Fußballspiel schaut, kann abgemahnt werden.

Das musste sich ein Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht Köln sagen lassen. Er hatte während der Arbeitszeit jedenfalls für einen Zeitraum von 30 Sekunden ein Fußballspiel auf einem dienstlichen Computer angesehen. Das hatten mehrere Zeugen ausgesagt. Daraufhin war er von seinem Arbeitgeber abgemahnt worden. Mit seiner Klage wollte er die Abmahnung aus der Personalakte entfernen lassen. Das Arbeitsgericht wies die Klage jedoch ab. Es hielt die Abmahnung für gerechtfertigt. Zur Urteilsbegründung führte das Gericht aus, dass der Arbeitnehmer während der betreffenden Zeit seine Arbeitsleistung nicht erbracht habe.

Quelle: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 28.8.2017, 20 Ca 7940/16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Wohnungsmieter müssen eine Wärmedämmung durch feuergefährlichen Polystyrol hinnehmen, so das Amtsgericht Berlin-Mitte.

Zwar bestehen Risiken, jedoch sei der Dämmstoff als solcher zugelassen, so das Amtsgericht. Nach dem Inhalt des Gesetzes komme es allein auf die wärmedämmende Eigenschaft des einzusetzenden Dämmstoffs an. Dieses sei bei EPS-Dämmplatten gegeben. Die vereinzelt auftretenden Risiken wurden bei der Zulassung des Baustoffs offenbar in Kauf genommen. Das Gericht verwies darauf, dass es sich über die gesetzlichen Vorgaben nicht hinwegsetzen dürfe.

Quelle: Amtsgericht Berlin-Mitte, Urteil vom 14.6.2017, 17 C 158/16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Wenn der Geschädigte kein Geld für die Werkstattkosten hat, darf er die Regulierung durch den Versicherer abwarten, bevor er reparieren lässt. Das gilt auch, wenn sich daraus ein langer Zeitraum ergibt. Voraussetzung ist aber, dass er dies dem Versicherer vorher ausdrücklich mitgeteilt hat.

So entschied es das Amtsgericht Leer im Fall eines Unfallgeschädigten, der für die Reparatur des Fahrzeugs kein eigenes Geld übrig hatte. Die Kreditfrage hatte sich wegen bereits laufender Kredite nicht gestellt. Der Versicherer hatte sich auf den Standpunkt gestellt, der Geschädigte habe den Unfall selbst verursacht. Etwa zehn Monate nach dem Unfall hat das Amtsgericht Leer mit diesem Urteil entschieden, dass der Unfallgegner und damit der Versicherer die volle Verantwortung für den Unfall tragen. Mit dem Urteil stellte das Amtsgericht auch fest, dass der Geschädigte Anspruch auf die Nutzungsausfallentschädigung bisher und bis zur Fertigstellung des nicht mehr fahrfähigen Fahrzeugs habe. Das waren mehr als 300 Tage.

Quelle: Amtsgericht Leer, Urteil vom 10.7.2017, 070 C 1166-16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Verlangt ein vom sogenannten VW-Abgasskandal betroffener Autokäufer von Volkswagen Schadenersatz und will er den Kaufvertrag rückabwickeln, besteht dafür eine hinreichende Erfolgsaussicht. Der Rechtsschutzversicherer ist daher verpflichtet, Deckung zu gewähren.

Diese Klarstellung traf das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im Fall eines aus Sachsen stammenden Versicherungsnehmers. Er hatte einen vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffenen VW-Sharan gekauft. Nun verlangte er von seiner in Düsseldorf sitzenden Rechtsschutzversicherung eine Deckungszusage, um Ansprüche gegen die Herstellerin Volkswagen AG auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen geltend zu machen. Dies hatte die Rechtsschutzversicherung abgelehnt. Sie meint, es bestünden für die Verfolgung eines Schadenersatzanspruchs gegen die Herstellerin keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Denn der Käufer könne keinen konkreten Schaden benennen oder beziffern, da die Fahrtauglichkeit nicht eingeschränkt sei und auch die Betriebserlaubnis weiterhin bestehe. Der Mangel sei außerdem mit geringem Aufwand zu beheben. Sollte ein merkantiler Minderwert bestehen, könne dieser zu einem späteren Zeitpunkt geltend gemacht werden.

Das sahen die Richter am OLG anders. Sie entschieden, dass der Versicherer einstandspflichtig sei. Es bestehe eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung. Bereits mehrere Landgerichte erster Instanz hätten einen Schadenersatzanspruch eines Kraftfahrzeugkäufers gegen die Volkswagen AG wegen des Inverkehrbringens von Dieselfahrzeugen mit manipulierter Abgassoftware bejaht, unter anderem gemäß § 826 BGB (sittenwidrige vorsätzliche Schädigung).

Der Versicherungsnehmer verstoße mit seiner beabsichtigten sofortigen Klage gegen die Herstellerin auch nicht gegen seine Schadensminderungspflicht. Ihm sei es nicht zuzumuten, trotz hinreichender Erfolgsaussichten mit rechtlichen Schritten gegen die Herstellerin zuzuwarten. Nach dem bisherigen Verhalten der Herstellerin spreche nichts dafür, dass sie freiwillig den vom Kläger geltend gemachten Schadenersatzanspruch erfüllen werde und eine streitige Auseinandersetzung vermeidbar wäre. Im Übrigen sei es Sache des Autokäufers zu entscheiden, wann er seine Ansprüche gegen die Herstellerin geltend machen wolle. Dies sei von seinem Versicherungsvertrag gedeckt.

Quelle: OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.9.2017, I-4 U 87/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl