Eine Anordnung im Gewaltenschutzverfahren wird nicht dadurch unwirksam, dass sich der andere Ehegatte ebenfalls nicht rechtskonform verhält.

So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg und bestätigt damit eine Anordnung des Amtsgerichts, nach der ein gewalttätiger Ehemann die Ehewohnung nicht mehr betreten und sich der Ehefrau nicht mehr nähern darf. Der Mann hatte gegen die amtsgerichtliche Entscheidung Beschwerde eingelegt. Er hatte argumentiert, seine Frau habe die Anordnung nur dazu nutzen wollen, den gemeinsamen Hausrat zu verkaufen. Außerdem habe sie die gemeinsamen Kinder ohne Absprache mit in die Türkei genommen. Sie habe sich daher selbst nicht rechtskonform verhalten.

Die Richter am OLG hielten die Anordnung des Amtsgerichts für richtig. Es sei unerheblich, ob die Frau sich selbst rechtskonform verhalten habe oder nicht. Denn ein etwaiges rechtswidriges Verhalten der Frau lasse ein rechtswidriges Verhalten des Mannes nicht entfallen. Dem Mann stehe es frei, sich gegen ein rechtswidriges Verhalten der Frau auf dem normalen Rechtsweg gesondert zur Wehr zu setzen.

Nach der Beweisaufnahme des Amtsgerichts stehe darüber hinaus fest, dass der Mann seine Frau durch die ernstzunehmende Ankündigung, ihr den Bauch aufzuschlitzen und so zu töten, massiv körperlich bedroht habe. Hierdurch habe er auch seine eingeschränkte Fähigkeit, seine Emotionen zu kontrollieren, unter Beweis gestellt. Auch in der Verhandlung vor dem Amtsgericht war es der Amtsrichterin nur mühsam gelungen, den Mann davon abzuhalten, seine Frau zu beschimpfen und der Lüge zu bezichtigen. Darüber hinaus habe er seine Frau gegenüber den gemeinsamen, noch kleinen Kindern als Schlampe bezeichnet und von den Kindern verlangt, dies auch selbst gegenüber Dritten zu tun.

Vor dem gesamten Hintergrund sei die Anordnung des Amtsgerichts daher nicht zu beanstanden, so das OLG. Der Mann hat nach einem entsprechenden Hinweis des Senats seine Beschwerde zurückgenommen.

Quelle: OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.1.2017, 4 UF 3/17.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Eine einstweilige Verfügung, gerichtet auf Räumung und Herausgabe ­einer Wohnung, setzt nicht voraus, dass zugleich eine Räumungsklage in einem Hauptsacheverfahren anhängig ist oder anhängig gemacht wird. Der nötige Verfügungsgrund für eine solche Leistungsverfügung ist aber nur gegeben, wenn eine verbotene Eigenmacht oder eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben vorliegt.

Das ist das Ergebnis eines Rechtsstreits vor dem Amtsgericht Brandenburg. Der Vermieter wollte im gesamten Wohnhaus umfassende Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen durchführen. Er kündigte dem einzigen im Haus noch verbliebenen Altmieter fristlos, hilfsweise fristgemäß wegen vermeintlicher Verstöße gegen die Hausordnung. Sodann begehrte er im Wege der einstweiligen Verfügung die Räumung und Herausgabe. Die Gefahr für Leib und Leben begründete der Vermieter damit, dass

  • angeblich mehrfach Schnaps- und Weinflaschen aus dem Fenster der Wohnung des Mieters geflogen waren und zu befürchten stand, dass Passanten oder Nachbarn hierdurch getroffen würden.

 

  • Außerdem hätte der Mieter diverse Lebensmittel in den Abfluss gestopft, was zudem die Gefahr begründe, dass er sich eventuell auch noch an der Gasversorgung zu schaffen mache.

Das Amtsgericht hat den Antrag des Vermieters zurückgewiesen. Es ist davon ausgegangen, dass die Anforderungen an den Verfügungsgrund – angesichts der besonderen Bedeutung einer Wohnung und der bei einer Räumung eintretenden Vorwegnahme der Hauptsache – hoch anzusetzen sind.

Ausgehend hiervon hat es den Vortrag des Vermieters zur konkreten Gefahr durch herabfallende Flaschen als nicht hinreichend dargelegt bzw. glaubhaft gemacht angesehen. Die benannten Zeugen hätten nur bekunden können, dass leere Flaschen vor dem Haus lagen, aber nicht wie sie dort hingekommen waren. Die behauptete Verstopfung der Abwasserleitung begründet keine Gefahr für Leib oder Leben von Personen; das Eigentum wird durch eine einstweilige Verfügung gerade nicht geschützt.

Quelle Amtsgericht Brandenburg, Urteil vom 21.4.17, 31 C 37/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Maßgeblich für den erforderlichen Zusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und dem schädigenden (Unfall-)Ereignis ist, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsverhältnis dienende Verrichtung ausüben wollte und dies durch die objektiven Umstände bestätigt wird. Dies ist nicht der Fall bei einer Auseinandersetzung mit einem Türsteher beim Versuch, wieder in einen Club zu gelangen, um eine vergessene Jacke zu holen.

Im vorliegenden Fall sollte festgestellt werden, ob ein Vorfall auf Ibiza ein Arbeitsunfall war. Die Richter am Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zweifelten nach der Beweiserhebung erheblich und verneinten dies. Sie begründeten ihre Entscheidung wie folgt:

  • Ob der Kläger „Beschäftigter“ und damit gesetzlich unfallversichert gewesen sei, sei zweifelhaft. Er gab an, dass er im Club auf Ibiza Verkaufsverhandlungen geführt habe. Zuvor hatte er behauptet, die Geschäftsgespräche seien vor dem Besuch des Clubs beendet gewesen.

 

  • Ebenfalls sei nicht bewiesen, dass der Kläger beim Verlassen des Clubs auf einem versicherten Heimweg gewesen sei. Es sei wahrscheinlicher, dass er nach dem kurzzeitigen Verlassen des Clubs wieder hinein wollte und vom Türsteher abgewiesen wurde. Dieses stehe nicht unter dem Schutz der Unfallversicherung. Dafür kämen nur private Gründe in Frage, insbesondere der selbst geschilderte Grund, seine vergessene Jacke zu holen. Weder er noch seine Geschäftspartner hätten zudem behauptet, dass in dieser Phase noch Verkaufsverhandlungen geführt werden sollten.

Quelle: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9.3.2017, L 6 U 2131/16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Bei der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren handelt es sich nach der Rechtsprechung der Obergerichte nicht um ein standardisiertes Messverfahren. Dementsprechend hoch sind daher auch die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen.

Worauf zu achten ist, fasst das Oberlandesgericht (OLG) Hamm für eine Messung zur Nachtzeit zusammen. In solchen Fällen sind nach Ansicht der Richter zusätzliche Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten, insbesondere zum Abstand der Fahrzeuge und zur Sicht- und Beleuchtungssituation vor Ort erforderlich. Die fehlen oft in den amtsrichterlichen Urteilen. Das OLG geht zudem davon aus, dass Mindestmessstrecken auf der Grundlage behördlicher Richtlinien für die Gerichte nicht bindend sind. Die Gerichte müssen sich vielmehr nach den gesetzlichen Grundsätzen eine eigene Überzeugung bilden. Je kürzer allerdings die Messstrecke ist, umso genauer sind die Umstände der Messung darzustellen. Das betrifft insbesondere die Frage, wie die nachfahrenden Polizeibeamten in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum gleichzeitig das Fahrzeug verfolgen, einen gleichbleibenden oder sich vergrößernden Abstand feststellen – unter welchen Beleuchtungsverhältnissen und in welchem (ungefähren) Abstand zum verfolgten Fahrzeug – und die Geschwindigkeit ablesen konnten.

Quelle: OLG Hamm, Beschluss vom 10.3.2017, 4 RBs 94/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Bei einem Energielieferungsvertrag wird eine mit einer Preisanpassungsklausel verbundene unangemessene Benachteiligung des Kunden i. d. R. nicht dadurch ausgeglichen, dass dem Kunden ein (Sonder-)Kündigungsrecht bei Preisänderungen eingeräumt wird.

Dies gilt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) auch, wenn sich die unangemessene Benachteiligung des Kunden aus einer Intransparenz der Preisanpassungsklausel ergibt. Mit seinem Urteil widerspricht der BGH einer älteren Entscheidung des OLG Hamm, das die Kombination von Preisanpassungsklausel und Sonderkündigungsrecht als wirksam angesehen hatte (OLG Hamm 7.6.11, 19 U 184/10).

Beachten Sie Ein Gasversorgungsunternehmen kann sich nicht unmittelbar auf das gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 AVBGasV stützen, wenn es mit dem Kunden aus dessen Sicht einen Sonderkundenvertrag zu Sondertarifen im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit und damit von vornherein außerhalb des sachlichen Geltungsbereichs der AVBGasV abgeschlossen hat (BGH NJW 11, 1342).

Quelle: BGH, Urteil vom 21.9.2016, VIII ZR 27/16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Wenn ein Ehepartner ein Kind aus einer früheren Beziehung mit in die Ehe bringt, stellt sich zuweilen die Frage, ob der neue Ehepartner das Kind adoptieren kann, sodass es dann rechtlich gesehen ein gemeinsames Kind der neuen Ehegatten ist. Darüber hatte das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg zu entscheiden.

Anders als bei der normalen Adoption bleiben die rechtlichen Bindungen des Kindes zu dem neu verheirateten Elternteil bestehen. Zu dem anderen Elternteil werden dagegen alle Abstammungsbande durchschnitten. Wenn der leibliche Elternteil keine Zustimmung erteilt, kann es nur in Ausnahmefällen zur Adoption kommen. Bei Eltern, die nicht miteinander verheiratet waren und bei denen nur einer das Sorgerecht für das Kind hat, kann das Gericht die Zustimmung des anderen Elternteils zur Adoption ersetzen, wenn sonst unverhältnismäßige Nachteile für das Kind zur erwarten wären. Der Bundesgerichtshof hat für eine solche „Stiefkindadoption“ hohe Anforderungen gestellt.

Im Fall des OLG Oldenburg hatte die Mutter argumentiert, ihr neuer Ehemann müsse auch rechtlich Vater ihrer Kinder werden, damit er zum Beispiel bei Krankenhausaufenthalten oder Arztbesuchen der Kinder Entscheidungs- und Informationsrechte habe. Das Amtsgericht Vechta hatte den Antrag der Frau zurückgewiesen. Das OLG hat diese Entscheidung bestätigt. Mit der beabsichtigten Adoption seien für die Kinder keine so erheblichen Vorteile verbunden, die eine Durchtrennung der rechtlichen Bande zu ihrem leiblichen Vater rechtfertigen würden. Der sorgeberechtigten Mutter stehe es frei, ihren neuen Ehemann zu bevollmächtigen, für die Kinder bei Arztbesuchen oder ähnlichem Entscheidungen zu treffen und Informationen zu erhalten. Dies sei ausreichend.

Quelle: OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.3.2017, 4 UF 33/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Zieht ein Mitmieter aus der gemeinsam gemieteten Wohnung aus, bleibt er formal Mitmieter. Er bleibt dann dem Vermieter gegenüber aus dem Mietverhältnis verpflichtet. Aber auch der verbleibende Mieter kann Ansprüche haben.

Nimmt der in der Wohnung verbleibende Mitmieter den ausgezogenen Mitmieter auf Ausgleich von Mieten, Nebenkostennachzahlungen oder Schönheitsreparaturen in Anspruch, handelt es sich um einen Anspruch aus § 426 BGB. Dieser unterfällt nicht der ausschließlichen Zuständigkeit nach § 29a ZPO, weil dieser nur Primär- und Sekundäransprüche aus einem Mietvertragsabschluss erfasst.

Quelle Amtsgericht Bremen, Urteil vom 28.4.2017, 9 C 20/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Wer eine Kostenübernahmeerklärung für die Heimkosten eines Elternteils unterschrieben hat, kann sich seiner Schuldnerschaft nicht entziehen, indem er nach dem Erbfall des Elternteils die Erbschaft ausschlägt.

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg sieht die Kostenübernahmeerklärung als Schuldbeitritt. Nach seiner Ansicht ändert das Ausschlagen der Erbschaft nichts an der Zahlungspflicht, weil es nicht um den Anspruch des Pflegeheims gegen die verstorbene Mutter geht, sondern um einen direkten Anspruch des Pflegeheims gegen die Tochter aufgrund der von ihr unterschriebenen Erklärung.

Die Besonderheit des Falls: § 14 Abs. 1 des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz in Baden-Württemberg sieht – vergleichbar mit anderen Bundesländern – vor, dass der Heimträger von den Pflegebedürftigen nur Sicherheitsleistung verlangen darf, wenn diese im Vertrag bezeichnet ist. Die Tochter meinte, ihr Schuldbeitritt sei eine solche Sicherheit, die aber nur in einer Anlage vereinbart sei. Dem ist das OLG nicht gefolgt.

Beachten Sie Der Schuldbeitritt ist auch gültig, wenn er separat vom Heimvertrag abgeschlossen worden ist. Selbst, wenn man einen Verstoß gegen das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz annehmen würde, müsste die Tochter haften. Denn dieses Gesetz schützt nur den Heimbewohner, nicht aber dessen Angehörige.

Quelle: OLG Oldenburg, Urteil vom 21.12.2016, 4 U 36/16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Wohnt der Geschädigte im ländlichen Raum ohne leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr, kommt es für die Erforderlichkeit des Mietwagens nicht auf die Anzahl der täglich gefahrenen Kilometer an.

So entschied es das Amtsgericht Donaueschingen. Zur Alternative des Taxis sagt das Gericht: „Es ist bei Kenntnis der hier gegebenen örtlichen Verhältnisse illusorisch, für den täglichen Fahrbedarf der Klägerin jeweils ein Taxi anzufordern.“ Das Urteil deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Die 20 km pro Tag-Faustregel für eine erste gedankliche Annäherung gibt es. Liegt die Anzahl der gefahrenen Kilometer darunter, ist jeweils auf den Einzelfall abzustellen.

Quelle: Amtsgericht Donaueschingen, Urteil vom 7.3.2017, 1 C 251/16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Es ist einer Gewerkschaft nicht grundsätzlich untersagt, Arbeitskampfmaßnahmen auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers durchzuführen.

Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg entschieden und damit eine entgegenstehende Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin abgeändert. In dem Fall ging es um einen Arbeitskampf zwischen der Gewerkschaft Ver.di und der Amazon Pforzheim GmbH. Die Gewerkschaft will erreichen, dass die Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels in Baden-Württemberg angewendet werden. Sie beabsichtigt, Streikposten auf dem nicht eingefriedeten und zum Betriebsgelände gehörenden gepachteten Parkplatz des Unternehmens aufzustellen. Angesichts der örtlichen Verhältnisse und des Organisationsgrads der Belegschaft  könne nur so eine Kommunikation mit arbeitswilligen Arbeitnehmern effektiv geführt werden.

Das LAG hat die Unterlassungsklage von Amazon, mit der sie jegliche Streikpostenaktivitäten auf ihrem Parkplatz verhindern wollte, abgewiesen. Amazon müsse eine Einschränkung ihres Besitzrechts im Hinblick auf die von Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz geschützte gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit hinnehmen. Ver.di könne angesichts der örtlichen Verhältnisse mit der Belegschaft nur auf dem Parkplatz kommunizieren und arbeitswillige Mitarbeiter zur Teilnahme an dem Arbeitskampf auffordern. Die betriebliche Tätigkeit von Amazon würde hierdurch nicht beeinträchtigt. Auch müsse Amazon keine weiteren Betriebsmittel zur Unterstützung des Arbeitskampfes zur Verfügung stellen.

Quelle: LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.3.2017, 24 Sa 979/16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl