Keine Altersdiskriminierung durch auf jüngere Arbeitnehmer beschränktes Angebot von Aufhebungsverträgen

Nimmt der Arbeitgeber die bei ihm beschäftigten über 55jährigen Arbeitnehmer aus dem Personenkreis aus, dem er im Rahmen einer Personalabbaumaßnahme den Abschluss von Aufhebungsverträgen gegen Abfindungen anbietet, liegt darin keine Diskriminierung wegen des Alters. Es fehlt bereits an einer unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Den älteren Arbeitnehmern bleibt ihr Arbeitsplatz erhalten. Sie werden deshalb nicht weniger günstig als die jüngeren Arbeitnehmer behandelt, die ihren Arbeitsplatz – wenn auch unter Zahlung einer Abfindung – verlieren.

Der 1949 geborene Kläger ist seit 1971 bei der Beklagten beschäftigt. Im Juni 2006 gab die Beklagte, bei der betriebsbedingte Beendigungskündigungen zu diesem Zeitpunkt tariflich ausgeschlossen waren, bekannt, dass Arbeitnehmer der Jahrgänge 1952 und jünger gegen Zahlung von Abfindungen freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden könnten. Die von ihr festgelegte Abfindungshöhe richtete sich nach Dauer der Betriebszugehörigkeit und Höhe des monatlichen Entgelts. Die Beklagte behielt sich vor, den Wunsch von Arbeitnehmern, gegen Abfindung auszuscheiden, abzulehnen. Die Aufforderung des Klägers, auch ihm ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten, wies die Beklagte zurück. Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihm ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu unterbreiten, das eine Abfindung iHv. insgesamt 171.720,00 Euro beinhaltet.

Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Das neu geschaffene Diskriminierungsverbot wegen des Alters verfolgt wesentlich den Zweck, älteren Arbeitnehmern den Verbleib im Arbeitsleben zu ermöglichen. Es zwingt deshalb Arbeitgeber im Rahmen eines von ihnen geplanten Personalabbaus nicht dazu, auf Verlangen älterer Arbeitnehmer mit diesen einen Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung zu schließen. Der Kläger hat auch nicht hinreichend dargelegt, dass die Beklagte mit Arbeitnehmern der Jahrgänge 1951 und älter Aufhebungsverträge unter Zahlung von Abfindungen in der von ihr im Juni 2006 festgelegten Höhe geschlossen hat und damit von ihrer selbst gesetzten Regel abgewichen ist. Die Beklagte war deshalb auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nicht verpflichtet, mit dem Kläger den begehrten Aufhebungsvertrag zu schließen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Februar 2010 – 6 AZR 911/08
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 15. September 2008 – 9 Sa 525/07

Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Anspruch eines Mieters gegen den Vermieter auf Beseitigung von Mängeln während der Mietzeit unverjährbar ist.

Die Klägerin ist seit 1959 Mieterin einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus der Beklagten. Das über der Wohnung der Klägerin liegende Dachgeschoss war im Jahr 1990 zu Wohnzwecken ausgebaut worden. Im Oktober 2006 verlangte die Klägerin von den Beklagten schriftlich die Herstellung einer ausreichenden Schallschutzisolierung der Dachgeschosswohnung. Sie ließ im Jahr 2007 ein Beweissicherungsverfahren durchführen, bei dem festgestellt wurde, dass der Schallschutz unzureichend ist. Mit der Klage hat die Mieterin eine Verbesserung des Trittschallschutzes in der Dachgeschosswohnung verlangt. Die beklagten Vermieter haben Verjährung geltend gemacht. Vor dem Amtsgericht ist die Klage erfolglos geblieben. Das Landgericht hat ihr auf die Berufung der Klägerin stattgegeben.

Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Mietgebrauch der Klägerin durch den unzureichenden Schallschutz beeinträchtigt wird und sie deshalb gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB* Herstellung des erforderlichen Schallschutzes verlangen kann. Dieser Anspruch ist nicht verjährt. Der Anspruch des Mieters auf Beseitigung eines Mangels als Teil des Gebrauchserhaltungsanspruchs ist während der Mietzeit unverjährbar. Bei der Hauptleistungspflicht des Vermieters aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB handelt es sich um eine in die Zukunft gerichtete Dauerverpflichtung. Diese Pflicht erschöpft sich nicht in einer einmaligen Handlung des Überlassens, sondern geht dahin, die Mietsache während der gesamten Mietzeit in einem gebrauchstauglichen Zustand zu erhalten. Eine solche vertragliche Dauerverpflichtung kann während des Bestehens des Vertragsverhältnisses schon begrifflich nicht verjähren, denn sie entsteht während dieses Zeitraums gleichsam ständig neu.

*§ 535 BGB: Inhalt und Hauptpflichten des Mietvertrags

(1) Durch den Mietvertrag wird der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren. Der Vermieter hat die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Er hat die auf der Mietsache ruhenden Lasten zu tragen.

(2) Der Mieter ist verpflichtet, dem Vermieter die vereinbarte Miete zu entrichten.

Urteil vom 17. Februar 2010 – VIII ZR 104/09

AG Düren, Urteil vom 4. November 2008 – 46 C 303/08

LG Aachen, Urteil vom 9. April 2009 – 2 S 333/08

Karlsruhe, den 17. Februar 2010

Besteht ein mit einer Versorgungszusage unterlegtes Arbeitsverhältnis zu einem
Arbeitgeber, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, sind vor
Insolvenzeröffnung erworbene Anwartschaften reine Insolvenzforderungen, die zur
Tabelle angemeldet werden müssen.

Für gesetzlich unverfallbare Anwartschaften aus einer Direktzusage tritt der Pensionssicherungsverein ein.
Besteht das Arbeitsverhältnis nach Insolvenzeröffnung mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort, entstehen nach der Eröffnung weitere Anwartschaften zu Lasten der Masse. Diese
können – unabhängig von ihrer Höhe – vom Verwalter durch eine Kapitalleistung abgefunden
werden, wenn die Betriebstätigkeit vollständig eingestellt und das Unternehmen
liquidiert wird (§ 3 Abs. 4 BetrAVG). Dadurch soll der Abschluss des Insolvenzverfahrens
beschleunigt werden.

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Pressemitteilung zum Urteil vom 28. Januar 2010

Ist ein Arbeitnehmer nicht in der Lage, in deutscher Sprache abgefasste Arbeitsanweisungen
zu lesen, so kann eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt sein. Es
stellt keine nach § 3 Abs. 2 AGG verbotene mittelbare Benachteiligung wegen der
ethnischen Herkunft dar, wenn der Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern die Kenntnis
der deutschen Schriftsprache verlangt, soweit sie für deren Tätigkeit erforderlich
ist. Der Arbeitgeber verfolgt ein im Sinne des Gesetzes legitimes, nicht diskriminierendes
Ziel, wenn er – zB aus Gründen der Qualitätssicherung – schriftliche
Arbeitsanweisungen einführt.

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Einem Unterhaltsberechtigten steht wegen der Betreuung eines nichtehelich geborenen Kindes jedenfalls ein Mindestbedarf in Höhe des Existenzminimums zu, der dem notwendigen Selbstbehalt eines nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen entspricht und gegenwärtig 770 EUR monatlich beträgt.

Diese Grundsatzentscheidung traf der Bundesgerichtshof (BGH) im Fall eines Paars, dass bis 2006 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebte. Nach der Trennung verlangte die Frau für das gemeinsame Kind einen unbefristeten Betreuungsunterhalt. Dieser wurde ihr zunächst versagt, weil sie ihren Unterhaltsbedarf durch Einkünfte aus einer zumutbaren eigenen Erwerbstätigkeit decken könne.

Der BGH machte deutlich, dass sich der Unterhaltsbedarf nach der Lebensstellung der Frau zum Zeitpunkt der Geburt des gemeinsamen Kindes bestimme. Damit komme es ausschließlich darauf an, welchen Lebensstandard sie vor der Geburt des Kindes erreicht hatte. Der Unterhaltsanspruch solle sie nur so stellen, wie sie stünde, wenn das gemeinsame Kind nicht geboren wäre. Anders als beim nachehelichen Unterhalt, bei dem sich der Bedarf des geschiedenen Ehegatten auch nach dem bisherigen Einkommen des anderen Ehegatten bemesse, könne die Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes ihren Lebensbedarf nicht vom – ggf. höheren – Einkommen ihres Lebenspartners ableiten. Das gelte auch dann nicht, wenn sie längere Zeit mit ihm zusammengelebt habe. Zu berücksichtigen sei jedoch, dass der Betreuungsunterhalt ihr eine notwendige persönliche Betreuung des Kindes ermöglichen solle. Sie solle in dieser Zeit nicht gezwungen sein, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Daher sei ihr ein Unterhaltsbedarf zuzubilligen, der nicht unter dem Existenzminimum liegen dürfe. Dazu entschieden die Richter, das dieses Existenzminimum als unterste Grenze des Unterhaltsbedarfs in Höhe des nur wenig darüber hinausgehenden notwendigen Selbstbehalts eines Unterhaltspflichtigen pauschaliert werden dürfe. Dieser betrage gegenwärtig 770 EUR monatlich (BGH, XII ZR

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Die Wiederannahme des Geburtsnamens will gut überlegt sein, da sie nicht rückgängig gemacht werden kann.

Das zeigt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt a.M., die eine 88-jährige Frau betraf. Diese hatte seit ihrer Heirat im Jahre 1950 den Familiennamen ihres 1981 verstorbenen Ehemannes getragen. 2007 erklärte sie durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Standesbeamten, dass sie ihren Geburtsnamen wieder annehme. Diese Namensänderung beruhte auf der damaligen Absicht, die Kinder ihres verstorbenen Bruders zu adoptieren. Als sich diese Adoption jedoch zerschlug, wollte sie die Namensänderung wieder rückgängig machen. Das lehnte der Standesbeamte ab. Das OLG bestätigte diese Ablehnung nun. Die Richter entschieden, dass die durch Erklärung gegenüber dem Standesbeamten erfolgte Wiederannahme des Geburtsnamens oder früher geführten Namens durch den geschiedenen oder verwitweten Ehegatten nicht widerrufen werden könne. Die Namensbestimmung sei aus Gründen der Rechtssicherheit auch unanfechtbar. Hierauf sei die Antragstellerin bereits bei Aufnahme der Erklärung über die Wiederannahme des Geburtsnamens durch den Standesbeamten hingewiesen worden (OLG Frankfurt a.M., 20 W 87/09).

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Seit dem 1. Januar 2010 gilt ein neues Erbrecht. Das Erbrecht besteht in seiner heutigen Struktur seit über 100 Jahren. Die Neuregelung reagiert auf geänderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Wertvorstellungen. Modernisiert wird vor allem das Pflichtteilsrecht, also die gesetzliche Mindestbeteiligung naher Angehöriger am Erbe. Die wichtigsten Punkte der Reform:

Modernisierung der Pflichtteilsentziehungsgründe

Das Pflichtteilsrecht lässt Abkömmlinge oder Eltern sowie Ehegatten und Lebenspartner auch dann am Nachlass teilhaben, wenn sie der Erblasser durch Testament oder Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hat. Der Pflichtteil ist Ausdruck der Familiensolidarität. Er besteht in der Hälfte des gesetzlichen Erbteils; seine Höhe bleibt durch die Neuerungen unverändert.

Ein wesentliches Anliegen der Reform ist die Stärkung der Testierfreiheit des Erblassers, also seines Rechts, durch Verfügung von Todes wegen über seinen Nachlass zu bestimmen. Dementsprechend wurden die Gründe überarbeitet, die den Erblasser berechtigen, den Pflichtteil zu entziehen:

Die Entziehungsgründe werden vereinheitlicht, indem sie für Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten oder Lebenspartner gleichermaßen Anwendung finden. Bislang galten hier für unterschiedliche Personengruppen verschiedene Regelungen.

Darüber hinaus werden zukünftig alle Personen geschützt, die dem Erblasser ähnlich wie ein Ehegatte, Lebenspartner oder Kind nahestehen, z. B. Stief- und Pflegekinder. Eine Pflichtteilsentziehung ist auch möglich, wenn der Pflichtteilsberechtigte diesen Personen nach dem Leben trachtet oder ihnen gegenüber sonst eine schwere Straftat begeht.

Beispiel: Wird der langjährige Lebensgefährte der Erblasserin durch ihren Sohn getötet oder die Tochter des Erblassers durch seinen Sohn körperlich schwer misshandelt, rechtfertigt dies künftig eine Entziehung des Pflichtteils.

Der Entziehungsgrund des „ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels“ entfällt. Zum einen galt er bisher nur für Abkömmlinge, nicht aber für die Entziehung des Pflichtteils von Eltern und Ehegatten. Zum anderen hat er sich als zu unbestimmt erwiesen. Stattdessen berechtigt zukünftig eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zur Entziehung des Pflichtteils, wenn es deshalb dem Erblasser unzumutbar ist, dem Verurteilten seinen Pflichtteil zu belassen. Gleiches gilt bei Straftaten, die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurden.

Maßvolle Erweiterung der Stundungsgründe

Besteht das Vermögen des Erblassers im Wesentlichen aus einem Eigenheim oder einem Unternehmen, das für die Familie die Lebensgrundlage bietet, mussten die Erben diese Vermögenswerte bislang oft nach dem Tod des Erblassers verkaufen, um den Pflichtteil auszahlen zu können. Hilfe bietet hier eine Stundungsregelung, die bisher jedoch eng ausgestaltet war und nur den pflichtteilsberechtigten Erben (insbesondere Abkömmlingen und Ehegatten) offenstand. Mit der Reform wird die Stundung unter erleichterten Voraussetzungen und für jeden Erben möglich. Bei der Entscheidung über die Stundung sind aber auch künftig die Interessen des Pflichtteilsberechtigten angemessen zu berücksichtigen.

Beispiel: In Zukunft kann auch der Neffe, der sich sein Leben lang im Unternehmen engagiert und dieses dann geerbt hat, eine Stundung gegenüber den testamentarisch ausreichend versorgten, pflichtteilsberechtigten Kindern geltend machen, sofern die Erfüllung des Pflichtteils eine „unbillige Härte“ darstellen würde. Damit wird der Zerschlagung von Vermögenswerten zulasten der Erben entgegengewirkt.

Gleitende Ausschlussfrist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch

Macht der Erblasser vor seinem Tod anderen Geschenke, kann dies zu Ansprüchen auf Ergänzung des Pflichtteils gegen den Erben oder den Beschenkten führen. Durch diesen Anspruch wird der Pflichtteilsberechtigte so gestellt, als ob die Schenkung nicht erfolgt und damit das Vermögen des Erblassers durch die Schenkung nicht verringert worden wäre. Bislang wurden Schenkungen innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall in voller Höhe berücksichtigt. Waren hingegen seit einer Schenkung bereits 10 Jahre verstrichen, blieb die Schenkung vollständig unberücksichtigt. Dies galt auch, wenn der Erblasser nur einen Tag vor Ablauf der Frist starb.

Nach der Neuregelung findet eine Schenkung für die Berechnung des Ergänzungsanspruchs graduell immer weniger Berücksichtigung, je länger sie zurückliegt: Eine Schenkung im ersten Jahr vor dem Erbfall wird demnach voll in die Berechnung einbezogen, im zweiten Jahr wird sie jedoch nur noch zu 9/10, im dritten Jahr zu 8/10 und dann weiter absteigend berücksichtigt. Damit wird sowohl dem Erben als auch dem Beschenkten mehr Planungssicherheit eingeräumt.

Honorierung von Pflegeleistungen beim Erbausgleich

Zukünftig können Pflegeleistungen durch Abkömmlinge in Erbauseinandersetzungen in erhöhtem Umfang berücksichtigt werden. Erbrechtliche Ausgleichsansprüche gab es bisher nur für Abkömmlinge, die unter Verzicht auf eigenes berufliches Einkommen den Erblasser über längere Zeit gepflegt haben. Nunmehr entsteht dieser Anspruch unabhängig davon, ob für die Pflegeleistungen auf eigenes berufliches Einkommen verzichtet wurde.

Beispiel: Die verwitwete Erblasserin wird über lange Zeit von ihrer berufstätigen Tochter gepflegt. Der Sohn kümmert sich nicht um sie. Die Erblasserin stirbt, ohne ein Testament hinterlassen zu haben. Der Nachlass beträgt 100.000 EUR. Die Pflegeleistungen sind mit 20.000 EUR zu bewerten. Derzeit erben Sohn und Tochter je zur Hälfte. Künftig kann die Schwester einen Ausgleich für ihre Pflegeleistungen aus dem Nachlass verlangen. Von dem Nachlass wird zunächst der Ausgleichsbetrag abgezogen und der Rest nach der Erbquote verteilt (100.000 – 20.000 = 80.000). Von den 80.000 EUR erhalten beide die Hälfte, die Schwester zusätzlich den Ausgleichsbetrag von 20.000 EUR. Im Ergebnis erhält die Schwester also 60.000 EUR, der Bruder 40.000 EUR.

Abkürzung der Verjährung von familien- und erbrechtlichen Ansprüchen

Die Neuregelung passt die Verjährung von familien- und erbrechtlichen Ansprüchen an die Verjährungsvorschriften des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes von 2001 an. Seit der Schuldrechtsreform gilt eine Regelverjährung von drei Jahren. Dagegen unterlagen familien- und erbrechtliche Ansprüche bislang einer Sonderverjährung von 30 Jahren, von denen das Gesetz zahlreiche Ausnahmen machte. Dies führte zu Wertungswidersprüchen und bereitete der Praxis Schwierigkeiten. Die Verjährung familien- und erbrechtlicher Ansprüche wird daher der Regelverjährung von drei Jahren angepasst. Dort, wo es sinnvoll ist, gilt jedoch auch in Zukunft eine längere Frist.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Das Klavierspielen an Sonn- und Feiertagen kann nicht automatisch als Ruhestörung beurteilt und mit einem Bußgeld belegt werden.

Diese Klarstellung traf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Fall einer musikbegeisterten Familie, dessen Tochter täglich ca. eine Stunde Klavier spielen übte. Hiervon fühlte sich ein Nachbar gestört, sodass er an einem Sonntag die Polizei rief. Das zuständige Bezirksamt setzte daraufhin wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Verbot, an Sonn- und Feiertagen Lärm zu verursachen, durch den jemand in seiner Ruhe erheblich gestört wird (§ 4 Landesimmissionsschutzgesetz – LImSchG Bln), eine Geldbuße fest. Der Einspruch hiergegen blieb in allen Instanzen erfolglos. Der vor dem Amtsgericht als Zeuge vernommene Polizeibeamte bekundete, dass er das von ihm wahrgenommene Klavierspiel wie der Nachbar als störend empfunden habe.

Auf die Verfassungsbeschwerde hob das BVerfG das Urteil nun auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurück. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass das Urteil des Amtsgerichts den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletze, weil es das LImSchG in nicht verfassungsgemäßer Weise anwende. Bei der vom Amtsgericht vorgenommenen Rechtsanwendung sei nicht hinreichend erkennbar, wann das Musizieren in der eigenen Wohnung an Sonn- und Feiertagen eine „erhebliche Ruhestörung“ im Sinne des LImSchG darstelle. Das Grundgesetz enthalte jedoch ein besonderes Bestimmtheitsgebot. Hierin werde der Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen der Strafbarkeit oder Bußgeldbewehrung so konkret zu umschreiben, dass der Bürger erkennen könne, welches Verhalten der Gesetzgeber sanktioniere. Für die Rechtsprechung folge daraus, dass jede Rechtsanwendung verboten sei, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgehe. Im vorliegenden Fall gehe das Amtsgericht offenbar davon aus, dass bei verhaltensbedingten Geräuschimmissionen jeder verständige, nicht besonders geräuschempfindliche Mensch feststellen könne, ob eine erhebliche Ruhestörung vorliege. Es sehe daher im Ausgangsfall auf der Grundlage der Aussagen des Nachbarn und des hinzugerufenen Polizeibeamten eine erhebliche Ruhestörung durch das sonntägliche Klavierspiel als erwiesen an. Das Amtsgericht habe aber keinen Versuch unternommen, den normativen Gehalt des auslegungsbedürftigen Begriffs „erhebliche Ruhestörung“ zu erfassen und dieses Tatbestandsmerkmal auch im Hinblick auf das Musizieren in der eigenen Wohnung begrifflich zu präzisieren. Die Entscheidung darüber, ob eine „erhebliche Ruhestörung“ vorliege, sei vielmehr dem als Zeugen vernommenen Polizeibeamten überlassen worden. Diese Rechtsanwendung erhöhe aber die den Vorschriften anhafteden Ungewissheiten in einer den Anforderungen des Grundgesetzes nicht genügenden Weise (BVerfG, 1 BvR 2717/08).

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Ein Kreditinstitut muss dem Girokonto eines Kunden einen Betrag wieder gutschreiben, den es aufgrund eines gefälschten Überweisungsauftrags abgebucht hat.

Diese Entscheidung traf das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz im Fall einer Bankkundin, die bei ihrer Bank ein Girokonto unterhielt. Am 23. Mai überwies die Bank 40.000 EUR vom Konto der Frau auf ein Konto der P.-Bank in Köln, das auf den Namen P.O. eingerichtet war. Die Bank wurde aufgrund eines handschriftlich ausgefüllten Überweisungsformulars tätig. Der Überweisungsträger trug neben dem Datum „18. May“ eine Unterschrift, die die Bank als Unterschrift der Kundin ansah. Der bei der P.-Bank gutgeschriebene Betrag von 40.000 EUR wurde innerhalb eines Tages durch einen Unbekannten in mehreren Einzelbeträgen abgehoben. Anschließend wurde das leer geräumte Konto aufgelöst. Die Kundin verlangte die Gutschrift der 40.000 EUR auf ihrem Konto. Der Überweisungsauftrag sei nicht von ihr erteilt worden. Die Unterschrift sei gefälscht. Sie habe am 18. Mai einen Überweisungsauftrag an eine Firma H. über 40.000 EUR unterschrieben und in den Bank-Briefkasten eingeworfen. Dieser Überweisungsträger sei von einem Unbekannten aus dem Briefkasten „herausgefischt” worden. Anschließend sei ein neuer, gefälschter Überweisungsträger über 40.000 EUR hergestellt und eingereicht worden. Sie habe bis zur Leerräumung des Kontos bei der P.-Bank nicht bemerkt, dass ihrem Girokonto eine Falschbuchung belastet worden sei. Die Bank war der Ansicht, die Kundin treffe ein Verschulden, weil sie die falsche Überweisung hätte erkennen und die Bank benachrichtigen müssen.

Das OLG gab der Kundin recht. Sie habe gegen die Bank einen Anspruch auf Wiedergutschrift des überwiesenen Betrags von 40.000 EUR. Die Bank habe das Konto der Kundin zu Unrecht belastet. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Unterschrift auf dem Überweisungsträger gefälscht sei. Das Risiko der Fälschung eines Überweisungsauftrags trage nach der gesetzlichen Regelung die Bank. Sie sei deshalb unabhängig davon, ob sie schuldhaft gehandelt habe, verpflichtet, den rechtswidrig abgebuchten Betrag mit Wirkung vom 23. Mai wieder gutzuschreiben. Der Kundin falle auch kein Mitverschulden an der Fehlüberweisung zur Last. Es könne nicht festgestellt werden, dass sie die Fehlbelastung vor dem Zeitpunkt, zu dem das Konto bei der P.-Bank bereits völlig leer geräumt war, erkannt habe (OLG Koblenz, 2 U 116/09).

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Im Eingangsbereich eines Kaufhauses muss ein verständiger Besucher mit dem Vorhandensein von Glastüren rechnen. Er darf nicht sorglos darauf vertrauen, dass er den Eingang ungehindert passieren kann. Das gilt insbesondere, wenn die Türen durch Aufkleber und das Anbringen von auffälligen Metallgriffen kenntlich gemacht wurden.

Das musste sich eine Kaufhauskundin vor dem Amtsgericht (AG) München sagen lassen. Als sie im Sommer 2008 ein Kaufhaus betreten wollte, stieß sie beim Eingang mit dem Kopf an die geschlossene Glastüre. Dabei erlitt sie eine Gehirnerschütterung und konnte eine Weile nur verschwommen sehen. Als Schuldige für den Zusammenstoß machte sie sogleich die Betreiberin des Kaufhauses aus. Die Türe sei nicht hinreichend gekennzeichnet und erkennbar gewesen. Die vereinzelten Aufkleber würden dafür nicht ausreichen. Auch die Metallgriffe seien viel zu unauffällig gewesen. Es sei auch sehr heiß gewesen, weshalb andere Glastüren offen gestanden hätten, nur eben diese nicht. Die Betreiberin des Kaufhauses hätte daher ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt und müsste ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von 1500 EUR bezahlen. Außerdem sei ihr ein Haushaltsführungsschaden in Höhe von 1249 EUR entstanden. Den müsse man ihr ersetzen. Weil das Kaufhaus eine Zahlung verweigerte, kam es zum Prozess.

Das AG wies die Klage der Kundin jedoch ab. Der Richter nahm die fragliche Glastüre in Augenschein. Dabei kam er zu dem Schluss, dass das Kaufhaus seine Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt habe. Auf allen Glastüren würden sich auffällige Metallgriffe befinden, die über nahezu die gesamte Türhöhe reichen würden. Die untere Türkante sei mit einem deutlich erkennbaren Metallrahmen eingefasst. Darüber hinaus befände sich über der gesamten Breite der Türe ein etwa 82 cm breiter Metallrahmen mit dem Schriftzug der Beklagten. Zusätzlich befänden sich ein Aufkleber mit den Öffnungszeiten der Beklagten, ein Aufkleber mit Pay-Back-Informationen sowie ein Aufkleber mit dem Zeichen „Rauchen verboten“ auf der Tür. Diese sei damit hinreichend kenntlich gemacht. Es sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Türe nicht innerhalb eines Durchgangsbereichs im Inneren des Kaufhauses befinde, sondern erkennbar im Eingangsbereich zum Kaufhaus. Im Eingangsbereich eines Kaufhauses müsse jedoch ein verständiger Besucher mit dem Vorhandensein von Glastüren rechnen. Wer hier sorglos darauf vertraue, dass er den Eingang ungehindert passieren könne, müsse sich einen etwaigen Schaden selbst zuschreiben (AG München, 172 C 1190/09).

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl