Betagte Mieter: Schwerwiegende persönliche Härtegründe müssen bereits bei der Kündigung berücksichtigt werden
Der BGH stellt klar: Gerichte müssen schwerwiegende persönliche Härtegründe aufseiten des Mieters auch bei fristloser Kündigung berücksichtigen.
Die 97-jährige Beklagte hat 1955 von der Vermieterin eine Dreizimmerwohnung und 1963 zusätzlich eine im selben Gebäude und Stockwerk gelegene Einzimmerwohnung angemietet. Die bettlägerige und demenzkranke Beklagte bewohnt die Dreizimmerwohnung. In der Einzimmerwohnung wohnt ihr langjähriger Betreuer. Er pflegt sie ganztägig. 2015 beleidigte der Betreuer die Vermieterin grob. Diese kündigte daraufhin das Mietverhältnis fristlos.
Das Amtsgericht hat die Räumungsklage abgewiesen. Das Landgericht sah dies anders. Bei derart groben Beleidigungen liege es auf der Hand, dass der Vermieterin ein Fortsetzen des Mietvertrags unzumutbar sei. Persönliche Härtegründe könnten erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung im Wege eines Vollstreckungsschutzantrags geprüft werden. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg.
Das Gesetz schreibt bei einer fristlosen Kündigung ausdrücklich vor, dass die beiderseitigen Interessen der Mietvertragsparteien abgewogen werden müssen. Dabei müssen alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Die Abwägung auf bestimmte Gesichtspunkte zu beschränken und deren Berücksichtigung – wie das Berufungsgericht – auf das Vollstreckungsverfahren zu verschieben, verbietet sich bereits aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung. Das Berufungsgericht hätte insoweit dem Vortrag der Beklagten nachgehen müssen, wonach sie auf die Betreuung in ihrer bisherigen häuslichen Umgebung angewiesen und ansonsten schwerstwiegende Gesundheitsschäden zu besorgen seien.
Quelle: BGH, Urteil vom 9.11.2016, VIII ZR 73/16
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl